Rezensionen Eva Voß Wie der Jäger zum Gejagten wird Ursula Maria Wartmann: Die Angst der Kaninchen. Roman, Berlin 2003 (Querverlag, 263 S., 17,90 €). In Ursula Maria Wartmanns Roman Die Angst der Kaninchen verliebt sich die passionierte Lehrerin Hanne in die achtzehnjährige Jenny. Ihr Liebesglück wird jedoch bedroht durch Thorsten, den jungen und gewalttätigen Neffen von Hanne, der nach dem Rauswurf durch seine Eltern bei Hanne wohnt. Da Thorsten weder mit Jenny, noch der Art ihres Verhältnisses zu seiner Tante zurechtkommt, projiziert er all seine aufgestaute Wut und Aggressivität auf diese Beziehung. Er fühlt sich von der ‚Andersartigkeit‘ dieser Beziehung bedroht und sinnt auf Rache. Rache für das eigene Leben, in dem Liebe und Nähe nur eine geringfügige Rolle spielten. Die wenigen körperlichen Annäherungen in seinem Leben entfalteten eine physisch und psychisch zerstörerische Kraft – Thorsten wurde durch den eigenen Vater sexuell missbraucht. Geprägt durch diese furchtbaren Kindheitserfahrungen und den Umgang mit einigen radikalen Skinheads wird er zum brutalen Einzelgänger, der Freude beim Erschießen wilder Kaninchen entwickelt. Gerade die Angst in den Augen der Tiere gibt ihm das Gefühl von Überlegenheit, von Macht. Er will beherrschen, doch gerade in Bezug auf Jenny will ihm das nicht gelingen. Sie sieht ihm geradewegs ins Gesicht und nimmt den Kampf gegen ihn auf. Unterstützung erfährt Jenny hierbei von Hanne und deren Ex-Freundin Ruth, die als Polizistin Erfahrungen im Umgang mit gewalttätigen Menschen gesammelt hat. Kennzeichnend für Wartmanns Roman ist die Tatsache, dass er nicht in SchwarzWeiß- Malerei verfällt, auch wenn die Figurenkonstellation diesen Eindruck zunächst erwecken mag. Dadurch, dass die Geschehnisse aus den unterschiedlichen Sichtweisen der einzelnen Protagonisten erzählt werden, entwickeln die LeserInnen Verständnis für die Handlungen und Motive jedes Einzelnen. So erscheint auch die Figur des Thorsten nicht nur als durchgehend schlecht oder gewalttätig. Wartmann verfällt eben nicht in klischeehafte Schemata, die Straftaten Jugendlicher mit einer schlimmen Kindheit erklären. Sie verleiht auch dem vermeintlichen Bösewicht ein menschliches Antlitz, indem sie auch seine sehr fürsorgliche Seite beschreibt. Als er sich rührend um eine ältere Dame kümmert, wird klar, dass Pauschalverurteilungen nicht möglich sind. Es gibt zwischen schwarz und weiß auch noch verschiedene Graustufen, in denen sich letztlich alle ProtagonistInnen bewegen, denn nicht nur Thorsten ist bestimmt von elementaren Gefühlen wie Liebe und Hass, auch Hannes Ex-Freundin Ruth leidet unter Eifersucht, die sie im Alkohol zu ersticken versucht. Gefühle und unerfüllte Träume spielen eine große Rolle im menschlichen Miteinander, das Wartmann in ihrem Roman beschreibt. Wenngleich das Ende als glücklicher Ausgang für die betroffenen Charaktere gewertet werden kann, ist aus Freiburger FrauenStudien 17 279 Rezensionen gesellschaftskritischer Perspektive ein Umfeld zu beklagen, dem es an Toleranz und Menschlichkeit fehlt. Wartmanns Roman ist nicht nur intelligent und spannend inszeniert, sondern auch eine präzise Sozialstudie, die den Abgrund menschlicher Gefühle exakt erfasst. Trotz zahlreicher Rückblicke und Nebenschauplätze fügt sich ihr Roman zu einem schlüssigen und homogenen Ganzen zusammen, auch wenn manchmal, durch die Menge an tragischen Ereignissen, der Eindruck einer konfliktträchtigen Überladung der Handlung entstehen kann. Wartmann macht jedoch durch den Zusammenhang, der sich zwischen den einzelnen AkteurInnen ergibt, und den jeweiligen Bildern, die damit provoziert werden, sehr deutlich, dass es aus dem Kreis von Vorurteilen und Intoleranz kein Entrinnen gibt. Die keinen Kompromiss zulassende Entscheidung über Leben und Tod von Jenny und Thorsten als Lösung des Problems ist dann vielleicht etwas zu einfach. Dass sich die Autorin für die sozial verträglichere Variante entscheidet, kann trotz aller Gewalt als Zeichen eines nicht verloren gegangenen Optimismus gewertet werden. 280 Freiburger FrauenStudien 17