25. April 2022
Unterm Flieder
Ich bringe dir einen Strauß Sätze
mit du magst Nelken ich habe
auch noch Kosmeen dabei und
Kalifornischen Mohn komm
mit in den Garten unter
den Flieder dein blauer Blick
soll strahlen unter meiner Rede
soll die Kälte der Welt
zu Splittern zerspringen sich
neu formieren zu fetten Wiesen wo
sich munter Sumpfdotterblumen
tummeln bereit sich zu rangeln
um den besten Platz
im Licht um ein Lächeln von dir.
aus: Ursula Maria Wartmann Am Ende der Sichtachse, edition offenes feld
2022 Hardcover mit Schutzumschlag und Fadenheftung
23. April 2022
Volles Haus im Blauen Salon
Zur Lesung mit der Kollegin Franziska Beyer-Lallauret und mir und kongenial dem Gitarristen Peter Klose waren zahlreiche Gäste nach Dortmund-Dorstfeld gepilgert. Alte Bekannte und hinter den Masken neue Gesichter; Menschen, die Lyrik lieben und solche, denen Lyrik (bisher) nicht so viel sagte - so jedenfalls das eine oder andere diskrete Bekenntnis aus der Gästeschar, bevor es dann kurz vor der blauen Stunde losging im wunderschönen Salon.
Nach unserer Lesung war vieles anders. Da sagte Lyrik auf einmal vielen viel. Das "Spiegeln", unser Reden über das jeweilige Gedicht der anderen und die Gemeinsamkeiten, war spannend und wirklich aufschlussreich fürs Publikum. Die berühmte Stecknadel ... beim Lesen hätte man sie fallen hören können. Der Applaus am Ende: war riesig.
Anschließend noch ein Absacker bei Gülten und Cüneyt im im Biercafé West. Ein großes Dankeschön von mir noch einmal an Claudia Vennes von der Stadt- und
Landesbibliothek, die sich im Januar sofort für unsere Idee begeistern ließ. Danach hieß es: Machen! Mal sehen, welche Ideen noch aus dem Hut gezaubert werden können.
Fotos: Petra Paplewsky
Karfreitag 2022
Mahnmal Bittermark
An der 1960 im Auftrag der Stadt Dortmund errichteten Gedenkstätte fand nach zweijähriger Corona-Pause heute wieder eine Gedenkveranstaltung statt. Sehr viele waren gekommen, auch zahlreiche junge Leute, die zum Teil als "Erinnerungsbotschafter*innen" unterwegs sind.
Das Mahnmal und der durch den Stadtwald Bittermark steil ansteigende Weg dorthin, flankiert von zahleichen Fotos der Opfer, erinnert an die perfiden Morde der Nazis in den allerletzten Kriegstagen.
Um die Osterzeit wurden etwas 300 Menschen - ausländische Zwangsarbeiter*innen aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Jugoslawien Polen und der Sowjetunion und Deutsche im Widerstand - erschossen und in Massengräbern verscharrt. Sie waren aus dem Hörder Gestapokeller und der Steinwache in die Bittermark und den Rombergpark verschleppt und dann ermordet worden. Am 19. April wurde unter der Regie der amerikanischen Truppen mit der Exhumierung der Leichen begonnen.
15. April 2022 / 2
Schöne Route durchs Unionviertel ...
natürlich wieder im Wahlkampfmodus.
13. April 2022
aus: Ursula Maria Wartmann Am Ende der Sichtachse, edition offenes feld
2022 Hardcover mit Schutzumschlag und Fadenheftung
Auf dem Weg zu dir
Dann stoße ich endlich die Tür zur
Waldlichtung auf oben streunt
ein Bussardpaar im Himmelskobalt
kreist und neckt sich und unten
sickert Sonne auf‘s rostige Braun
weicher Nadeln. Meine Stirn
lehnt stumm am Zittern
der hohen Fichte die sich wankend
an ihrer Schwester reibt roh
das Ächzen der Stämme schrill
wie die Schreie der Pfauen
hinten am Schloss. Sonnenknistern.
Im schillernden Radschlag
der Federn das Funkeln des Fensters
als du es hastig schließt.
Ich bin auf dem Weg
zu dir. Ich lausche. Die Stille bauscht
die Netze der achtäugigen Spinnen.
8. April 2022
Seit vierzig Jahren
fast nichts verändert -
darauf ist Hasan Sahin stolz, und dafür lieben die Leute ihn und seinen Buchladen mitsamt dem Café. Das Taranta Babu im Dortmunder Klinikviertel ist Legende. Wahrscheinlich gibt es niemanden, der oder die noch nicht in dieser Kultstätte zu Gast war: Wer schreibt oder sonstwie mit Sprache, Büchern, Dichtung zu tun hat, kennt das Taranta Babu und war sicher bei einer der vielen Veranstaltungen zu Gast. Nichts ist hier chic, alles ist gewachsen, die Ordnung ist überschaubar, das kleine Chaos von riesigem Charme. Hasan selbst ist, wie sollte es anders sein, nicht mehr der Jüngste, er geht auf die Mitte Siebzig zu, aber er plant: Gesprächsrunden, Vorträge und Lesungen. Und wenn jemand Ideen hat? Her damit! Einer wie er läßt sich noch immer begeistern. Und natürlich, keine Frage. Mach das Plakat dran, hast du Tesa da? Wo liest du? Schöner Ort, der Blaue Salon ...
1. April
Was für eine Freude: die Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik mit Sitz in Leipzig hat meinen Gedichtband "Am Ende der Sichtachse" als Empfehlung
des Monats auf ihre Seite gestellt.
Eine tolle Rezension dazu von Monika Hähnel, für die ich mich sehr bedanke. Mehr unter:
1. April / 2.
Mein jüngstes Gedicht zum Thema Krieg.
31. März 2022
Wahlkampf!
Die heiße Phase beginnt im Keller einer Schule. Ab morgen schlag Mitternacht können Wahlplakate gehängt werden.
April
Die Sonne duftet im Rosmarin
klettert der glänzende Panzer
des Käfers, da! das Förmchen
des Kindes da
liegt es kalt
unterm Buxus.
Die frühe Felsenbirne treibt
aus erste Knospen im Wind
zittert Flaum junger Weidenkätzchen.
Im April ist nicht gut Kirschen essen
flutet noch Hagel
die Wiesen das Moos.
28. März 2022
Gedicht zum April
Schon bald wird uns die Fülle
berauschen wird die Tür
des Hauses von blauem Duft
bewuchert sein.
Glyzinien werden
den Sonnentag sprengen.
Ich werde mein Sehnen
mit weitem Arm in
die Zukunft werfen wie
einen Anker. Hier
bleibe ich. Hier
pflück ich gelbe Falter
aus der Luft Libellen lass
sie auf meinem Handrücken
tanzen.
Ursula Maria Wartmann:Gegen acht im Park, edition offenes feld 2021
18. März 2022
Vorfrühling in Zeeland
und doch ist alles überschattet vom Krieg in der Ukraine, den wir in Zoutelande Abend für Abend am Fernsehen mitverfolgen.
Überall Diskussionen und weiterhin eine völlige Fassungslosigkeit, dass so etwas mitten in unserem Europa hier und heute passieren kann. Aber schon immer war da in meiner Generation bei vielen (wie wir jetzt oft in den Gesprächen hören) dieser leise Unglaube, dieses oft auch tief drinnen ängstliche Staunen darüber, dass wir seit Generationen die erste sein sollen, die Krieg nie erlebt hat. Hoffen wir und, wenn wir können, beten wir, dass sich die Dinge wieder zum Frieden wenden.
Holland ist bunt, verspielt und quicklebendig wie eh und je. Trotz beinahe doppelt so hoher Inzidenzen wie in Deutschland sieht man keine Masken mehr. Wie schnell man leichtsinnig wird. Nach einem Tag in Vlissingen kam es uns vor, als hätte es Corona nie gegeben. Kaum etwas erinnert hier daran.
Monika Littau: Manchmal oben Licht. edition offenes feld 2021. Hardcover mit Schutzumschlag.
17. März 2022
Langer Abschied
Elternabschied in VII Stationen - so nennt die in Bonn und Remagen lebende Schriftstellerin Monika Littau ihr neuesten Werk - lyrische Prosa, dicht und unverblümt. Es ist die Schilderung einer Lebensbegleitung auf dem letzten Weg ihrer Eltern. Littau beschreibt die Demenzerkrankung von Mutter und Vater, geht zurück in Erinnerung und Kindheit. Sehr berührend.
11. März 2022
Die sentimentale Eiche -
so nennt der in Steinfurt lebende Schriftsteller Matthias Engels sein nun in dritter Folge erscheinendes Literaturmagazin, das sich in der Anmutung charmant old fashioned und in Westfalen lebenden Schreibenden eine Plattform gibt. Der Name nimmt Bezug auf den großen Dichter Heinrich Heine (geb. 1797 in Düsseldorf - gest. 1856 in Paris), der schrieb: "Sie fechten gut, sie trinken gut / Und wenn sie die Hand dir reichen / Zum Freundschaftsbündnis, dann weinen sie; / Sind sentimentale Eichen."
Auch rheinische Frohnaturen dürfen bei all den senitmentalen Eichen mitmischen ..., wenn sie denn ihre Zelte in Westfalen aufgeschlagen haben. In Nummer 2 war ich - mein Zelt steht in Dortmund - mit einigen Gedichten vertreten. In Nummer 3 eröffnet Matthias Engels den Reigen im Netz mit einer Rezension der bekannten und in der literarischen Szene überaus rührigen Schriftstellerin Monika Littau, die meinen Lyrikband "Am Ende der Sichtachse" besprochen hat, der, von Jürgen Brôcan herausgegeben, in der edition offenes feld erschienen ist.
Et voilà, hier klicken:
10. März 2022
In Stellung
Wohin ist der Krieg
gegangen fragt das Kind
der Himmel schäumt seit Tagen
in ruhigem milchigem Weiß und
das Kind schaut über
das blühende Feld legt
den Armstumpf über die Stirn
zum Schutz vor hellem Himmel
kneift es die Augen zu Schlitzen
zu so ruhig sagt das Kind aber wo ist er
der Krieg liegt im Graben in Stellung
die Stiefel gewichst die Bajonette
geschärft doch das sagt niemand
dem Kind hat genug gesehen das Kind
und erlebt soll nun glücklich sein.
aus: Ursula Maria Wartmann Am Ende der Sichtachse, edition offenes feld
2022 Hardcover mit Schutzumschlag
Am Freitag, den 22. April im Blauen Salon: Spiegelgedichte
Gerne auch jetzt schon anmelden:
Tel. 0231.50-2 32 37 oder
schultewittenhaus@stadtdo.de
5. März 2022
Manche fragen
wie wir uns kennengelernt haben?!
Die Anwort ist: Wir kennen uns nicht, jedenfalls nicht
leibhaftig. Erste Kontakte zwischen den dichtenden Damen entstanden übers Internet - kurz vor der Lesung werden wir uns dann erstmals in den Armen
liegen. Auch der Gitarrist ist - noch - ein großer Unbekannter. Das wird spannend!
Ursula Maria Wartmann:
Am Ende der Sichtachse, edition offenes feld 2022
Hardcover mit Schutzumschlag und Fadenheftung.
19,50 zu beziehen über den Buchandel oder übers Internet.
1. März 2022
Raureif
Ich reiße die Tage
aus dem Kalender
schichte die Stunden
wie Holz auf dem Stoß
auf klebe Zeitungsschnipsel
ins Logbuch gebe Losungen
aus für die hungrigen Tiere.
Am See haust der krumme Glöckner
im Kirchturm am Seil schwingt die
Deutung der schalldichten Träume
mit der Kälte der ruppigen Tage wohin
man auch sieht: Raureif. Leere Augen
hungrige Münder voll Puderzucker und
stolzer Parolen wo Herzen zucken
pumpen sie süße Klumpen durchs Blut.
25. Februar 2022
KRIEG IN EUROPA
Wir besuchten Schloß Dyck in Bedburdyck, eines der bedeutendsten Schlösser des Rheinlands, als die örtliche Tageszeitung so titelte. Unser ganzes heißes Mitgefühl gilt den Menschen in der Ukraine.
|
24. Februar 2022
Rezension
von Rolf Birkholz
für "Am Erker - Zeitschrift für Literatur" Nr. 80 Daedalus Verlag
zu: Ursula Maria Wartmann: Gegen acht im Park
Eher idyllische, wenngleich von harter Arbeit zeugende Landschaftsbilder des niederländischen Genre-Malers Willem Pieterszoon Buytewech (1591-1624) illustrieren dieses angenehm gestaltete Buch. Doch dessen Titel inmitten eines dieser Bilder auf dem Cover könnte auf die falsche Fährte führen. Denn das Titelgedicht "Gegen acht im Park" handelt vom Aufbegehren einer Dreizehnjährigen ("ihre Wut wächst so mächtig wie / all die Wut der vielen"). So sind auch die Gedichte dieses Bandes literarisch gut verpackt. Lesend öffnen sich die meisten leicht, wenn auch bei einigen ein Bändchen zu lösen ist. Ein packendes Debüt."
Ja, Ihr Lieben! Da gibt es nur eins: Kaufen, kaufen. Kaufen!!!
20. Februar 2022
Vor fast einem Jahr für die edition offenes feld ein paar Gedichte eingelesen.
Et voilà:
16. Februar 2022
Natürlich ist es Glück
Natürlich ist es Glück. Im Haar
der Kranz aus blauen Blumen den
heiterste Nachtträume webten
von Norden das Summen der
Kirchglocken gegen Fensterglas.
Im Hof unten knospen die
Christrosen unterm Laub. Aus
dem Himmel fällt Winterwärme
fällt ins Haar auf die Schläfen erfüllt
das Erwachen mit Kosen
mit Kitzeln. Mit Licht.
Ursula Maria Wartmann:Gegen acht im Park, edition offenes feld 2021
Hardcover mit Schutzumschlag und Fadenheftung. 18,50 Euro. Zu beziehen über den Buchandel oder übers
Internet.
Müde ist sie und dunkel
Das Leder der Sohlen
knarzt auf dem Marmor
zeichnet die Sonne Kringel auch
ins Gesicht der Trauernden die
den Prinzen beklagen. Klagegesang
nach Noten von Benjamin Britten
Ballett der Klänge die unterm
Gewölbe sich ballen wie Wolken, ja!
jeder der an mich glaubt wird leben
auch
wenn er gestorben ist.
Kleines Gähnen im Holzgestühl
hinter gespreizten Fingern das
feuchte Grauen des Lebens Enkelkinder
stumm hinter Masken unter den
Fahnen alles vertreten was Rang hat und
Namen: Missbrauch Rassismus Ehebruch.
Die alte Monarchin in Schwarz gebeugt
in Hut und Maske der Nacken gesenkt
in großer Mattigkeit nicht einmal die Augen
zeigt sie heute der Welt verweigert sich diesmal
ganz schätzt die Distanz schon ab zwischen sich
dem Gefährten wer will glauben
dass sie alleine weiter will wo andere
doch warten.
Müde ist sie und dunkel.
Umarmt den Gedanken ans Sterben
vielleicht.
Philip Duke of Edinburgh wurde in der St. George's Chapel in Windsor begraben. Fotos aus der Doppelkirche Schwarzrheindorf in Bonn.
6. Februar 2022
Zwei Frauen ...
... und ein lyrisches Projekt.
Die Vorbereitungen laufen für die "Spiegelgedichte".
Ende April im Blauen Salon im Schulte-Witten-Haus in
Dortmund-Dorstfeld.
Seid gespannt. Mehr demnächst.
4. Februar 2022
Stromern durchs Winterlicht ...
heute war es ein bisschen trüb, manchmal regerisch. Ein unbekanntes Ziel kann definitiv die Stimmung heben, also haben wir uns dann doch auf die Socken gemacht.
Mengede war das Ziel. Wir waren noch nie wirklich da, außer bei kulturellen Veranstaltungen in der sensationell schönen Zeche Hansemann. Und einmal sind wir im Mengeder Stadtgarten durch den
Lockdown gelatscht. War auch schön damals. Also: nix wie hin!
In Mengede leben an die 40 000 Menschen; hier, im Dortmunder Nordwesten, ist es vielfach malerisch und ruhig. Zahlreiche großbürgerliche Villen gibt es hier, schnuckelige Fachwerkensembles und Zechensiedlungen - eine großartige und überaus typische Mischung von Ruhrgebietskultur, gleich zwei Buchhandlungen im Ortskern inbegriffen.
Ganze acht Stadtteile gehören noch zu Dortmund-Mengede, der Einfluss des nahen Münsterlandes ist deutlich zu spüren. Große Flächen werden land- und forstwirtschaftlich genutzt, oder sind als Naturschutz- und Naherholungsgebiete ausgewiesen. Das ganze Sorglos-Paket ist gerade mal zehn Kilometer von der City entfernt ... Nahverkehr klappt auch. Die Fotos zeigen das alte Ortsbild rund um die evangelische Remigius-Kirche .
Und dann ist da noch, siehe weiter unten, dieses uralte Fachwerkwerkhaus ...
... dem Verfall, dem System, der Zeit ...
PREISGEGEBEN!
Was für eine Geschichte! In Mengede. Gleich nebenan.
30. Januar 2022
All die Triumphe
Das Weltenherz pumpt Kälte
in die Nacht Kristallverwehung
an den Simsen der Brücken
zittert Eis unter dem Brüllen
der Güterwaggons hinter der
ESSO-Zapfsäule wedelt ein
brauner Busch Pulverschnee
auf Hunger treibt das Eichhörnchen
um vielleicht drüben auf den Balkonen
des Altenheims brennt noch
die Lampe hängt tief über
dem langsamen Tod der greisen
Diva all den Fotos und Briefen und
dem Triumph ihres heißen
ihres unnachgiebigen Lebens.
Aus
Ursula Maria Wartmann: Am Ende der Sichtachse, edition offenes feld 2022
Hardcover mit Schutzumschlag und Fadenheftung.
Zeichnungen von Gillis van Scheyndel.
19,50 zu beziehen über den Buchandel oder übers Internet
28. Januar 2022
At peace?
Liebe Leute!
Diese Perle des Journalismus habe ich gerade per Zufall in den Tiefen meines PCs
gefunden. My goodness, ist gar nicht lange her - und war doch in einer anderen Welt ...
Städtepartnerschaft
zwischen Dortmund und Leeds. Seit 50 Jahren betseht die Freundschaft nun. Einladungen und
Gegenbesuche. Künster*innen auch der schreibenden Zunft waren dabei. Noch war Corona kein Thema. Nur ein paar Monate später war die Welt eine andere ...
Ein kleines, feines Abenteuer im späten Herbst 2019 wartete auch auf mich; ich freute mich und war gespannt. Ich war als Schriftstellerin zu Gast; auf dem Programm standen Lesungen, Diskussionen, das Begleiten von Uni-Workshops ... Nach der ersten Nacht sah ich aus dem achten Stock des IBIS im Morgendunst die Skyline von Leeds: Baukräne und Wolkenkratzer und zu einem kleinen Teil links hinten ein Stück des „Queens“, eines traditionsreichen Hotels. Ich hatte das pittoreske Zentrum gestern nach der Ankunft noch kurz vor Einbruch der Dunkelheit durchstreift – nur einen kleinen Teil – und war schon begeistert gewesen von der Pracht der alten Bauten, den bunten zweistöckigen Bussen und dem quirligen Leben.
Ham and eggs, baked beans – ein englisches Frühstück war ich mir am ersten Morgen schuldig. Ich machte mit dem Smartphone ein Foto davon, obwohl ich mich albern dabei fühlte; ich würde es später dennoch verschicken. Ich beobachtete einen Jungen, höchstens fünfzehn, der auf den Wangen schwarze Tattoos trug. Ein Maori vielleicht, hatte ich überlegt; ich wusste nicht, welche Menschen hier zuwanderten. Auch gestern in der Stadt schienen mir alle möglichen Ethnien vertreten zu sein, die ich zum Teil nicht einordnen konnte. Beim abendlichen Streifzug war ich in einer fish & chips-Bude gelandet und hatte mit dem freundlichen jungen Mann gesprochen, seine Stadt gelobt, was ein Lächeln in sein Gesicht zauberte, und wie eine alte Lehrerin den Zeigefinger gehoben: „I hope you are at peace with each other?!“
Ich war mir nicht sicher, ob mein Englisch korrekt war. Der junge Mann sah hoch; meine Frage schien ihn zu erstaunen. „Of course“, meinte er, während sein Lächeln sich in der glatten braunen Haut der Wangen vertiefte. „Of course, no problem.“ Er hatte ein paar Pommes frites auf den Teller geschaufelt und sorgfältig ein Stück frittierten Fisch daraufgelegt. „Garlic?“ Ich nickte, obwohl ich nicht wusste, was Garlic war; es war eine klare Knoblauchsauce, die er aus einer Plastikflasche großzügig über dem Fisch verteilte.
Ich holte mir eine Orange vom Frühstücksbuffet und einen frischen Kaffee; der Junge mit den Tattoos wuselte gerade hinter einer hochgewachsenen muskulösen Blonden in einem Etuikleid her und wischte beflissen noch einmal über die spiegelblanke Tischplatte, bevor sie sich mit einem Nicken setzte.
Im Flugzeug war ich an meinem Fensterplatz eingenickt und erst beim Landeanflug aufgewacht. Als Schülerin, mit vierzehn, war ich einmal in Nordengland gewesen, aber ich erinnerte mich nach all den Jahren an kaum etwas. Nicht an dieses noch im Herbst satte Grün der Wiesen, die sich wie ein riesiges Puzzle ineinander verschränkten, nicht an die niedrigen Mauern aus Bruchsteinen, nicht an die zahllosen Schafe, die sich gemächlich rupfend vorwärtsbewegten. Und dann war da etwas gewesen, was mich kurz irritierte. Der Verkehr, natürlich. Auf der Insel fuhr man links.
„Peter“, hatte ich gestern zu Peter gesagt. „Was macht ihr nur, ihr fahrt ja alle auf der falschen Seite?!“ Peter Spafford hatte mich am Bahnhof Leeds-Bradford abgeholt, er war mein Kontaktmann in England, ein paar Jahre jünger als ich, knapp über sechzig, Schriftsteller, Radiomacher. Musiker auch. Ich hatte während der zahlreichen Mails gedacht, dass wir uns schon irgendwie verstehen würden, und als ich gestern Nachmittag aus dem Flughafen kam – Leeds-Bradford ist überschaubar und nicht so riesenhaft wie Düsseldorf – trafen sich unsere Blicke sofort. Wir zeigten mit theatralisch gerecktem Zeigefinger so synchron aufeinander, als hätten wir dafür eine Regieanweisung gekriegt. Peter, schmal und nicht sehr groß, wuchtete gekonnt meinen Koffer in den Skoda und machte den kleinen Witz, den er wahrscheinlich mit allen vom Festland machte. „Let’s go“, eine einladende Handbewegung und – schwupp! – natürlich war ich zur rechten Autotür gegangen, von wo er mich mit milder Geste zur Seite schob.
„My side, dear ...“
Jetzt, während ich einen Muffin zerteilte und mir ein Schokostückchen auf der Zunge zergehen ließ, dachte ich an unser Gespräch auf dem Weg vom Flughafen ins Zentrum von Leeds. Es war verrückt, welche Themen wir in die knapp dreißig Minuten gepackt hatten.
Peter hatte die Toleranz in seiner multikulturellen Stadt gelobt, erzählt, wie gerne er ein Teil von Leeds sei, und dann hatte er von Europa gesprochen, die Kappe geradegerückt und hinterm Steuer die Augen zusammengekniffen. „Best idea we ever had“, sagte er und trat aufs Gaspedal, und natürlich waren wir dann beim Thema Brexit gelandet, was das ganze Land spalte. Der Riss, erzählte Peter, gehe durch Familien, zerstöre Freundschaften, spalte Gruppen. „It’s horrible!"
Ich berichtete aus Deutschland. Vom Erstarken der Rechten. Dass es auch hier einen Riss gebe, der viel Gewachsenes, Althergebrachtes zerstöre: Strukturen, Systeme, Gefühle zwischen den Menschen.
„What“, hatte ich gefragt und Peter freundschaftlich auf den Unterarm geklopft, „what do you think about German Nazis?“
„German Nazis“, sagte Peter, er riss das Steuer nach rechts, als ein LKW vorbei donnerte, und sah mich kurz an. Er verzog das Gesicht. „Das reißt bei uns die Familien auseinander“ sagte ich. „Freundschaften, Paare. You know what I mean. Dieses Thema hat auch unsere Generation von Anfang an belastet.“
Der Frühstücksraum war jetzt sehr voll geworden; ich nutzte die eine entscheidende Sekunde für einen kleinen Sprint, um mir an der blinkenden Maschine einen neuen Latte Macchiato zu holen. Am Nebentisch hatten vier Männer Platz genommen. „Zombie Killing Shirt“ stand auf dem Shirt, das sich über dem mächtigen Bauch eines Mittvierzigers spannte; er war bleich und frisch rasiert, und seine massigen Oberarme steckten in rot gesprenkelter Haut wie in einem straff gespannten Strumpf. Die fantastischen Vier schaufelten baked beans und dunkel gebratene kleine Würstchen in sich hinein; ab und zu ein Grunzen, das Wischen behaarter Handrücken über glänzende Lippen. Waren Brexit-Ja-Sager eigentlich oft Rechte?
Peter würde es wissen; er schien eine Menge zu wissen, auch wenn er immer wieder diesen kapitalen Fehler machte: Egal, was man sagte, er fuhr auf der falschen Straßenseite. In seinem Skoda bin ich immer wieder tausend Tode gestorben, aber ich hatte nichts gesagt, hatte stattdessen die Landschaft bewundert, die verspielte Architektur der viktorianischen Straßenzüge, die wie in einem Märchenfilm vorüber flogen. „How cude, that’s so very british“, hatte ich ausgerufen, einmal, zweimal ..., und war mir dabei ein kleines bisschen, nun ja, bescheuert vorgekommen. Natürlich, mein Englisch trug mich einigermaßen bequem durch den Alltag, aber wenn es um mehr ging, um Standpunkte, Emotionen, musste ich passen. Ich dachte daran, wie Geflüchtete sich fühlen mussten – hochqualifizierte Frauen und Männer oft, denen es schlicht nicht möglich war, sich über Sprache als die Individuen darzustellen, die sie waren: gebildet, intelligent, eloquent und vielleicht trotz allem noch voller Humor und voller Menschenfreundlichkeit.
Gerade zog das „Zombie Killing Shirt“ an meinem Tisch vorbei; am Buffet war eine nächste Ladung Würstchen aufgefahren worden. Gestern im Auto hatte Peter erzählt, dass der Bruder seines Vaters 21-jährig im Zweiten Weltkrieg gefallen war. Sein Vater, hatte Peter gesagt, die Knöchel weiß am Steuer des klapprigen Skoda, hätte nie! … Niemals hätte sein Vater auch nur einziges Wort mit einem Deutschen gesprochen. Never! Nicht eins! Kein einziges fucking word!
Was will man da sagen. Mir hatten die Augen gebrannt und ich hatte genickt. Mir selbst bricht es fast das Herz, wenn ich Fotos der alten ehrwürdigen Reichs- und Hansestadt Dortmund sehe, von der nichts übrigblieb, nachdem die Briten sie ab 1943 in Schutt und Asche legten; Feuer, die lodernd durch die Straßen rasten, es kein Löschwasser gab nach dem Bombardement der Talsperre an der Möhne. Im März 1945 der letzte Großangriff auf das geschundene Dortmund: Er gilt als einer der schwersten, die je auf eine deutsche Stadt geflogen wurden.
Und so saßen wir zwei Hübschen in Peters Skoda, beide betagt schon; und dennoch Kinder der Opfer und
dennoch Kinder der Täter. Stumm einen langen Moment – kaum hätte ich auf Deutsch beschreiben können, was mich gerade bewegte –, bis Peter mich ansah und diesmal mir auf den Unterarm
klopfte.
Lucky, sagte Peter. Lucky that we have europe. Ein Glück, dass wir Europa haben.
(c) Ursula Maria Wartmann 2019
Mehr Fotos zu Leeds und Hull unter "Das war 2019 - Oktober"
Mehr zu lesen unter "Textproben: Regen zwischen Hull und Leeds"
Schloss Bodelschwingh tief im Westen: einer von 18 Adelssitzen in Dortmund, repräsentatives Wasserschloss, das im 16. und 17. Jahrhundert im Stil der Renaissance ausgebaut wurde. Über Stock und Stein ging es, durch Feld und Wald. Dortmund eben!
23. Januar 2022
Wanderung im Winterlicht
12. Januar 2022
Das Ende der Sichtachse
Das Ende der Sichtachse ist
mit dem schwarzen Edding
markiert: da verlor
das Haus sein Gesicht.
Der Sprengmeister trank am Abend
den besten Brandy der Stadt in
der Kleidung den Staub noch den
Angstschweiß unter den Achseln.
Böller und Dosenbier bunte
Sterne am Himmel Applaus
als der Koloss in die eigene
in die blitzhelle Tiefe rauschte.
Bombastisch der Staub
an diesem Tag
am Ende
der Reeperbahn.
Wer außer mir hat geweint, der alte Wirt
aus dem Felsenkeller, Antonio aus der
Seilerstraße mit der besten Pizza der Welt?
Wir wussten nur von uns.
Am nächsten Tag Schlagzeilen. Fotostrecken.
Danach das Räumen, die Pläne für später
die Sichtachse am Ende.
Markiert.
Aus:Ursula Maria Wartmann Am Ende der Sichtachse, edition offenes feld
2022, Hardcover mit Schutzumschlag und Fadenheftung
1. Januar 2022
Der Rhein - Jahreswechsel in Linz direkt am Fluss.
Viel Lichterglanz und weihnachtlicher Schmuck an den Häusern, verspielte Details an den uralten Fachwerkfassaden. Von morgens bis Mitternacht die Fähre, die brummend und tuckernd ans andere Rheinufer wechselt - her und wieder hin, hin und wieder her.
Vom frühen Morgen bis Mitternacht befördert sie Menschen und ihre Fahrzeuge ans andere Rheinufer, auch nach Ahrweiler und Bad Neuenahr, dorthin, wo die große Flut
im letzten Jahr so verheerende Schäden anrichtete und viele Menschen mit in den Tod riss. Das Katastrophengebiet liegt nur wenige Kilometer von hier an der Ahr. Auch der Pegel des Rhein steigt
dieser Tage weiter. Die Parkplätze am Ufer sind samt und sonders geräumt.
Europas Flussriese ist vieles: wildromantisch und gefährlich, sagenumwoben und wild, gesäumt von Burgen und Ruinen, kleinen Orten und großen Städten und Weinbergen mit berühmten Lagen.
An jeder Ecke gibt es Geschichte und Geschichten. In Unkel gleich nebenan lebte lange Jahre Willy Brandt. Eine kleine Weile Konrad Adenauer. Und Günter Wallraff hat
hier sein Refugium gefunden - den Fronhof, 1057 erbaut und zum damaligen Kloster Maria ad Gradus gehörig - direkt an der Rheinuferpromenade.