Portrait Nahid Farshi, Informatikerin und Projektmanagerin

 

Das große Thema des Lebens

 

Ihre Schwester ist schon da, als sie das erste Mal deutschen Boden betritt. Die Schwester ist als Studentin gekommen, 1978 war das, noch zu Schah-Zeiten; sie selbst kommt nur sechs Jahre später unter ungleich dramatischeren Bedingungen. Zu Hause in Teheran hat sie Kopf und Kragen riskiert, politischer Flüchtling ist sie auf einmal; die Mullahs sind nun an der Macht. Keine Gedanke an Rückkehr, nie mehr – bis heute nicht. „Das“, sagt sie, „war sehr hart, und das wird es immer bleiben. Ich wollte mein Land nie verlassen.“

 

Als sie 1984 in Düsseldorf aus dem Flieger steigt, ist sie im vierten Monat schwanger und  hat nicht viel mehr dabei als heimlich besorgte Papiere und die Kleider am Leib. Zu Hause, in Teheran, hat sie vor kurzem das Abitur gemacht, geht zu Demonstrationen, verteilt Flugblätter, ist gegen den Schleier und arbeitet mit Flüchtlingen aus Afghanistan. „Wenn du nur ein bisschen sozial engagiert warst“, sagt sie im Rückblick, „warst du als links abgestempelt. Und links sein war gefährlich.“

 

Sie kehrt nie wieder zurück

 

Es ist ein ganz normaler Tag. Ayatollah Chomeini ist an der Macht, der erste Golfkrieg erschüttert die Region und die Welt. Die Repressionen unter dem Regime der Mullahs nehmen zu. In deren Gefolge verändert sich an diesem ganz normalen Tag Nahid Farshis Leben von einer Sekunde auf die nächste. Sie wird gewarnt, eindringlich; die Polizei habe ihre Wohnung durchsucht. Dorthin zurückzukehren sei lebensgefährlich. Nahid Farshi weiß, wie ernst das zu nehmen ist. Es ist bitter, es ist entsetzlich, aber es ist Fakt: Nie wieder wird sie in ihre Wohnung zurückkehren. Sie geht in den Untergrund, versteckt sich. An die geplante Einschreibung an der Uni ist nicht mehr zu denken: „Die hätten mich sofort geschnappt!“  

 

So viele Zufälle

 

Ihre Mutter weint viel in diesen Tagen, sagt Nahid Farshi, die sehr früh einen Mann aus der Partei geheiratet hat; die Familie sorgt dafür, dass über „ein hohes Tier“ Papiere für sie ausgestellt werden. Absurd, so Farshi mit einem lakonischen Lächeln, sei das gewesen. „Da sorgte indirekt der Staat dafür, dass ich den Staat illegal verlassen konnte.“

Die Visa besorgt eine deutsche Frau, die Nahid Farshi von einem Job bei Bayer kennt; die Firma ist in Teheran ansässig, und die Kollegin will helfen.  Solche Verkettungen von Zufällen retten ihr das Leben. Und dann, gerade 20jährig, liegen zwischen ihr und ihrem Zuhause plötzlich 5000 Kilometer und die berühmten „Welten“. Seitdem, sagt sie, „gibt es kein Land mehr, von dem ich sagen kann, dass es Heimat ist.“

 

Es folgen anstrengende Jahre. Sohn Mahan, der heute fast 32 ist, Informatikstudent und „ein bekannter DJ im Techno-Bereich“, wächst ohne Vater auf. Ihre Schwester, sagt Nahid, habe viel geholfen: „Ohne sie hätte ich das alles nie geschafft.“

 

Hohes Tempo

 

Die junge Iranerin arbeitet hart. Anfangs lebt sie in Bochum, sie hat Asyl beantragt und besucht Deutschkurse. Gleich drei am Tag sind es am Anfang, „solche Schiss hatte ich, dass sie mich in der Klinik bei der Entbindung nicht verstehen.“ Es folgt das Studienkolleg, dann das Informatik-Studium an der FH Dortmund. Sie jobbt hier und da, putzt die Nikolaikirche, später ist sie studentische Hilfskraft. Wenn sie was macht, sagt sie, lege sie ein hohes Tempo vor, außerdem sei sie ein echtes Organisationstalent. Und dann gibt es so ziemlich von Anfang an Dunja Bertold, damals in Bochum Studentin und „Patin“ von Nahid Farshi. „Mit ihr“, sagt sie dankbar, „ bin ich gut befreundet. Sie hat mir immer sehr geholfen“.

Doch Nahid Farshi ist so eine: Sie will nicht nur nehmen, sie will auch geben. Und so zieht sich das Thema Flüchtlinge wie ein roter Faden durch ihr Leben; damals in Teheran fing das  an, als sie den Menschen aus Afghanistan half, und das ist all die Jahre auch in Deutschland so geblieben.

 

Keine Pause

 

Natürlich muss sie als erstes für sich und das Kind sorgen. Sie zieht das Studium (hohes Tempo!) durch und arbeitet als Diplom-Informatikerin bei verschiedenen Firmen. Projektmanagerin, Freelancerin, internationale Projekte in Wien, London, Prag … Ihr guter Ruf eilt ihr voraus. Sie verdient viel Geld, kann sich ohne Risiko auch finanzielle Auszeiten leisten, tut das auch und widmet sich in diesen Zeitblöcken von bis zu zwei Jahren dem Ehrenamt: der Flüchtlingshilfe. Dem großen Thema ihres Lebens.

Ihr letztes berufliches Projekt endet 2014. „Danach“, sagt sie, „wollte ich eigentlich mal einfach eine Pause machen, aber dann ist durch die Flüchtlingsgeschichte alles anders gekommen.“

 

Aus der Pause wird nichts. Auch nicht aus der geplanten Reise durch ihr Lieblingsland Indien, wo sie „trotz aller Armut und trotz aller Probleme die Lebensfreude faszinierend“ findet. Sie bleibt, ist für eine kurze Zeit die erste Leiterin des Flüchtlingshauses in der Adlerstraße. Und gründet dann mit ein paar MitstreiterInnen das „Projekt Ankommen e.V.“, das heute im ehemaligen QM-Büro in der Heinrichstraße angesiedelt ist. „Wir waren“, erzählt sie begeistert, „am Anfang nur eine Handvoll Leute. Jetzt sind es über 700, die mitmachen, und ganz ehrlich: Was die alle für eine Leistung bringen, das glaubt man nicht. Wir sind wirklich  dankbar dafür und die Flüchtlinge natürlich erst recht.“

 

Ehrungen und Preise

 

Den Integrationspreis der Stadt Dortmund und viele weitere Preise hat der Verein „Projekt Ankommen e.V.“ für sein Engagement bekommen, Nahid Farshi selbst den Ehrenring der Innenstadt West. Und seit ein paar Monaten ist sie für ein Pilotprojekt  angestellt, um in Kooperation von Stadt und Caritas die Integration von Flüchtlingen speziell in Aplerbeck und Brackel voranzubringen. Netzwerkarbeit. Runde Tische. Deutschkurse organisieren oder  Patenschaften, Mitgliedschaften in Sportvereinen und einiges mehr. Es gibt viel zu tun, Nahid Farshi packt es an und tut dies – wie sonst – in hohem Tempo. 

 

Sie entspannt sich beim Malen – Frauen in bunten Saris sind ein bevorzugtes Motiv – und bei Musik. Seit drei Jahren lernt sie, Santur zu spielen, eine Art Zither, die zwischen Westeuropa und China verbreitet ist. Auf dem trapezförmigen Kasten sind die Saiten gespannt, die mit leichten Holzschlegeln bespielt werden. Und weil Nahid Farshi das, was sie macht, auch gerne richtig macht, nimmt sie Unterricht bei einem Profi. Kioomars Musayebi, der wie sie aus Teheran stammt, ist ein bekannter Santurspieler und Komponist. Und Mitglied des „Transorient Orchestra“, einer Bigband aus dem Ruhrgebiet. Keine Frage: Von so einem kann man was lernen.

 

Echte Leidenschaft

 

Was sie schon kann, ist Backgammon. Eine echte Leidenschaft. Wie oft schon ist sie in Griechenland gewesen, um dort an Backgammon-Turnieren teilzunehmen; sie kann es kaum zählen. Und wie oft hat sie gewonnen? Auch kaum mehr zu zählen. In Dortmund hat sie ebenfalls bei Turnieren gespielt; Freunde, Freundinnen haben mitgefiebert, sie umarmt, wenn sie das Rennen gemacht hat. Ach ja, die Leute hier:  Ihr gefällt das lockere, das offene Visier der meisten„Ruhris“, und auch, wenn es kein Land mehr gibt, das Nahid Heimat nennen kann (auch nicht, obwohl sie natürlich längst die deutsche Staatsangehörigkeit hat), so kann sie doch sagen: „Ich bin eine Dortmunderin“, und das macht sie froh. Als ihr Vater vor zwei Jahren starb, 5000 Kilometer entfernt an diesem anderen Ende der Welt, wäre sie gern die letzten Tage bei ihm gewesen, doch einen Weg zurück, den gibt es für sie als politischen Flüchtling nicht. Nicht einmal dann, wenn ein Vater stirbt. So etwas auszuhalten ist schwer, manche zerbrechen daran, doch Nahid Farshi wächst. Ihr Sohn sei, erzählt sie zum Schluss, sei einmal in Iran gewesen: Er hat das Grab seines früh verstorbenen Vaters besucht. Auch Mahan  ist ein Dortmunder, genau wie Matheo, sein quirliger kleiner Mops: „In den ist er richtig verliebt.“

Man sieht sich öfter, redet, kocht zusammen. „Und  wenn er mal Fragen zur Informatik hat“, sagt Nahid Farshi, „dann macht im Zweifel auch mal die Mama für ihn die Hausaufgaben …“

 

 

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