Stimmen der anderen


Ursula Maria Wartmann: Nachtkinder in hohen Hüten - Rezension für Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik Leipzig

 

von Ralph Schüller | Veröffentlicht in: Allgemein, Empfehlung des Monats | 0

 

 

Empfehlung des Monats Februar 2024 von Florian Birnmeyer:

Ursula Maria Wartmann, gelernte Soziologin und Journalistin, hat inzwischen mehrere Lyrikbände veröffentlicht. Ihr aktuelles Werk „Nachtkinder in hohen Hüten“, das eine lyrische Trilogie abschließt, ist ein pessimistischer Abgesang auf die von der Natur entfremdete Gesellschaft, der mit Hintergründigkeit und auch Ironie den Leserinnen und Lesern einen Spiegel vorhält. Ursula Maria Wartmann dringt in die neuralgischen Punkte unserer Zivilisation vor, fernab jeglicher romantischer Idyllen. Biedermeier und Romantik, das sind Erscheinungen, die in ein längst vergessenes Gestern gehören.

Doch geht es auch in „Nachtkinder in hohen Hüten“ nicht gänzlich ohne idyllische Naturszenen. Nur ist bei der Lyrikerin Wartmann dieses urpoetische Motiv in jeder bukolischen Szene bereits in Auflösung begriffen, gleich einem verlockenden und betörenden Kunstwerk, das seine eigene Zerstörung beinhaltet:

 

Auf den Feldern schlafen nun
von riesigen Maschinen aufgebrochen
die nackten Schollen im
öligen Schwarzglanz der herbstlichen Feuchten.

 

Wartmanns Lyrik zeichnet sich durch eine fast maschinenhaft geölte und eingeübte Sprachpräzision aus, die sich sowohl in gesuchtem Vokabular („Äsen“, „maunzen“, „Tüll“), aber auch in dem gezielten Einsatz von sprachlichen Mitteln (Antithesen, Alliterationen, Assonanzen) und im eingängigen Dahinwogen des Rhythmus spiegelt.

 

Unter den Flügeln der
wilden Vögel sitzen wir
hoch über dem heißen Glitzern
der Meere den Abbruchkanten
der Welt und dem stillen Sterben der Wälder.

 

In „Nachtkinder“ greifen Gefühle, Natur, Sehnsucht, romantische Rückstände auf der einen Seite sowie Zivilisation, Technik und Entfremdung auf der anderen, stets ineinander. Es klingt auch eine Ahnung von Krieg an, eine Vorausahnung, die auf eine fernere oder doch nicht allzu ferne Zukunft verweist, in der unterdrückte und sublimierte Affekte wie Wut, Sprachlosigkeit, angestaute Gewalt und Einsamkeit in einer technisierten Gesellschaft ans Tageslicht gekehrt werden.

 

Sie sitzen am Rand des Waldes sie
baumeln mit den Beinen ab und zu
ein Wort während in ihrem Rücken
der Forst sich vom Gemetzel erholt.

 

Wartmann schwankt zwischen Zivilisationskritik und Naturerscheinungen hin und her, ein zeitgeistiges Spiel, das diesen Band aus der Masse der Lyrikneuerscheinungen durch einen gänzlich eigenen, sehr heftigen und auch gewaltgeprägten Tonfall herausstechen lässt. Auch in der Familie, die in unserer Gesellschaft den Nukleus bildet, findet die Lyrikerin keine Einkehr mehr, es herrscht nur Schweigen zwischen Eltern und Kindern. Statt Fürsorglichkeit und Nähe gibt es Distanz und Unterkühlung. Immer wieder von Neuem wird der Versuch unternommen, aus dieser Dynamik auszubrechen, ein neuer Anlauf gestartet, sich in eine bessere Welt, eine schönere Zukunft, eine hoffnungsvollere Utopie zu flüchten, doch am Ende bleibt da nur der doppelte Boden, der allzu oft unter den Füßen weggezogen wird. Und natürlich die Sprache, die als Retterin, Helferin und Ankerpunkt bereitsteht.

 

Wir liegen bäuchlings
mit wund gebissenen Kehlen
am See. Wir kauen Sauerampfer
während die Flossen von Karpfen
durchs Wasserglatt pflügen.
Wir verschränken die Finger
und wir lassen Gedanken nicht
zu, auch nicht das ferne Grollen der Feuer.
Die Pipeline brennt.

 

Die Lyrikerin Wartmann beherrscht das Spiel mit der Sprache und den Worten, sie ist eine Sprachkünstlerin, die ihre Verse fest im Griff hat und mit Scharfsinn über die Zivilisation Gericht hält. Manchmal würde man sich ein wenig weniger Gewalt und Pessimismus im Tonfall wünschen, doch insgesamt ist es ein Gedichtband, der aufgrund der Eigenständigkeit seines wie in einer Litanei wiederkehrenden Tons in Erinnerung bleibt.

 

Ursula Maria Wartmann:
Nachtkinder in hohen Hüten

Hardcover mit SU,116 S., 24,00 €
ISBN 9783757830847
edition offenes feld, Dortmund 2023


Literaturzeitschrift Am Erker zu: Am Ende der Sichtachse

 

Wir brechen die Tage wie Brot
von Rolf Birkholz

 

Schon ihren ersten Gedichtband, Gegen acht im Park (2020), hatte Ursula Maria Wartmann mit Grafiken eines niederländi­schen Landschaftsmalers aus dem 17. Jahrhundert illustriert. So hat sie es auch in ihrer zweiten Sammlung gehalten. Am Ende der Sichtachse ist mit Landschaf­ten von Gillis van Scheyndel bebildert. Auch sie werten das Buch auf, lassen zur Lektüre in vergangene Zeiten eintau­chen. Doch Vorsicht: Wartmanns Lyrik ist überwiegend hellwach gegenwärtig.
Aber sie haut nicht auf die Pauke, ihre Verse ziehen wiederum in meist zügi­gem, mitunter auch leicht stauendem Fluss gezielt gebrochener Zeilen durch die Gedichte. "Tage so sonnenwarm" etwa lässt Zeiten am Meer wieder auf­scheinen, wo sie das "hungrige Herztier / hinter dem Rippenbogen grasen" spüren: "so / sonnenwarm sind wir wir / brechen die Tage wie Brot."
Das Brot-Bild taucht noch einmal ganz anders, umfassender auf: "Wir teilen den Trost der Gebete / wie Brot zerdrücken wir Worte / unter dem Gaumen / schme­cken das Bittere / Wahre des Lebens." So einfühlsam, dabei ganz ohne falsche Süße wie hier ("Trost") ist der Kommuni­onempfang, die Hostie im Moment zwi­schen sinnlicher und geistiger Wahrneh­mung wohl selten erfasst worden. Aber krass dagegen gesetzt ist in "Denken an Knaben" ein Kleriker, der "verdaut / den Leib des Herrn". Und "Hinten im Kirchen­schiff" klingen die emotionalen "Glutströ­me" eines offenbar durch einen Priester Geschädigten an.
Ursula Maria Wartmanns Themenpalette ist freilich viel umfangreicher. Um frühe Liebe und Lebensendsorgen geht es, um die bedrohte Natur ("die Krankheit der Fichten in / Excel-Tabellen die Stämme / die Borken die prallen / Körper der Kä­fer") wie auch die einfach nur belebende ("Kartoffelernte"). Die Queen wird beim Begräbnis ihres Gatten beobachtet. Oder der Blick fällt in kalter Nacht auf ein Al­tenheim, dort "brennt noch / die Lampe hängt tief über / dem langsamen Tod der greisen / Diva all den Fotos und Briefen und / dem Triumph ihres heißen / des un­nachgiebigen Lebens."

Das einzelne Leben vom Leben an sich umgeben.

 

 

Jens Dirksen
Kulturchef der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung

 

in seinem Vorwort zu "Midlife Blues", Erzählungen,

Neuauflage unter "Der Bourbon des Grafikers" edition offenes feld 2019

 

„Je mehr sich die täglich neu organisierte Aufregung der Massenmedien den Schrillen, Reichen und Mächtigen zuwendet, desto wertvoller werden Erzählungen wie die von Ursula Maria Wartmann. Ihr Fokus liegt auf Menschen,

wie sie im Alltag unseren Weg kreuzen. Und für die sich die Medienkarawane bei ihrem Zug durchs globale Dorf nur dann interessiert, wenn sie Babies in der Kühltruhe liegen haben oder besonders monströse Arten der Triebabfuhr.

 

Der Wartmann’sche Mikrokosmos hingegen besteht aus den Erniedrigten und Beleidigten unserer Tage, die mit sich und der Kapitulation vor dem Treiben um sie herum ringen. Selbstverständlich steckt in ihnen allen auch ein Stück von uns, sonst würden uns diese Erzählungen nicht so seltsam vertraut vorkommen, sonst würden sie nicht etwas berühren in uns. Sie sind genaue Beobachter des Alltags,

sie schildern seine kleinen, manchmal auch größeren Fallen und wie Menschen darauf zulaufen, nicht unausweichlich, aber mit guten Gründen.

Diese Prosa ergreift Partei auf eine denkbar lakonische Weise – indem sie die Wirklichkeit ohne falsche Aufregung, aber mit einer klar konturierten Perspektive in den Blick nimmt.

 

Da ist das Mädchen, das schon ahnt, wie falsch es war, die Einladung der Freundin mit dem schmierigen Vater anzunehmen, und doch nicht anders kann, weil im Mitleiden aus der bloßen Solidarität Zuneigung wird. Da ist das Milieu, da sind die Illusionen der abgerutschten Frau, die nicht wissen will, dass ihre Sucht größer ist als die Liebe zu ihrem Sohn, weil sie sonst zerbrechen würde. Oft sind es Kümmerer, denen wir da begegnen: Menschen, die sich um andere kümmern - oder solche, die dem Kummer standhalten müssen, gleichwie.

Lauter Mischungen aus Typ und Charakter jedenfalls, gezeichnet mit einer ungewöhnlich präzisen Psychologie, in der gegensätzliche Motivlagen wie Liebe und Hass, Fürsorge und Verrohung, Mitleid und Egoismus einander durchdringen, nicht fast, sondern ganz so wie im wirklichen Leben.

 

Das große Kunststück dieser Prosa aber liegt in ihrer Verknappung auf das Notwendige. Kein Satz, kein Wort ist zu viel, im Gegensatz zum Geschwätz eines Zeitalters, das vor lauter Informationen immer weniger weiß, worum es geht und warum. In Sätzen, die manchmal ein halbes Gegenwarts-Panorama abgeben:

„Die Vögel seufzten unter der Last ihres Gefieders.“

Ursula Maria Wartmann sucht nicht das besondere, sondern das treffende Wort, sie putzt den Alltag nicht auf, sondern malt ihn mit seinen ureigenen Grautönen, aber das eben ungemein vielschichtig und, aber ja doch, bunt - mit Hunderten von Nuancen und feinen Variationen, die gerade in ihrer Genauigkeit von der Sehnsucht nach dem richtigen Leben mitten im falschen erzählen.

Wie es ist, so ist es nun einmal, aus guten Gründen, die nicht selten auch schlechte sind. Aber es könnte auch ganz anders sein.

Es sollte.

Es müsste.

Das ist der humane, mit Ernst Blochs großem Wort utopische Impuls dieser Prosa. Und der eigentliche Antrieb, ihre frei erfundenen Geschichten aus dem wirklichen Leben im wirklichen Leben zu lesen.“

 


Ursula Maria Wartmann: Gegen acht im Park

Rezensionen/Verlage > Rezensionen
 
Timo Brandt
Ursula Maria Wartmann: Gegen acht im Park. Gedichte. Dortmund (Edition Offenes Feld) 2020. 68 Seiten. 18,50 Euro.
Die Kata- und die Liebesstrophen
„Die Kraniche kraulen bedächtig durch
warmen Wind im Wolkenmeer wie
eh und je: In strikter Formation. In
der Tiefe des Atlantik stöhnt der Rochen
beim Verdauen einer Scherbe Tupperware.“
     
Ursula Maria Wartmanns Gedichtband „Gegen acht im Park“ ist in drei Abschnitte unterteilt. Im ersten Abschnitt geht es dann und wann etwas eskalativ, ja geradezu apokalyptisch zu, wobei die Bezüge von sehr greifbaren Ereignissen wie der Entschärfung einer Fliegerbombe und den Waldbränden in Australien bis zu allgemeineren Anbahnungen reichen – so werden etwa ein Dammbruch und ein Kraftwerksgau imaginiert; einige Gedichte konnte ich auch trotz Nachforschungen keinem konkreten Ereignis zuordnen, vielleicht wäre hier ein kleines Anmerkungsverzeichnis angebracht gewesen.
Manche der Katastrophen-Gedichte haben ein bestechendes Maß an Anschaulichkeit, allerdings gibt es auch ein-zwei Passagen, die ich etwas kritischer sehe. Teilweise, weil sie mir zu martialisch daherkommen, was die greifbare Furcht und/oder Betroffenheit, die die Gedichte heraufbeschwören, ins Ungreifbare entrückt, aber auch, weil ich manche Verquickungen nicht ganz nachvollziehen kann. So heißt es etwa in dem Australiengedicht:
„brennt ein Kontinent Australien
brennt hier oben auf den hellen Wolkenflügeln
klingt der Schrei der sterbenden Millionen wie
wehes Zittern von Geigensaiten ein Geruch
brennt sich zwischen die Buchdeckel die Geschichte wird
neu geschrieben. Bangemachen gilt.
Bald brennen wir auch drängt Rauch
durch Kamine.
Dass die Waldbrände in Australien hier zu einem Wendepunkt der Geschichte stilisiert werden, ist das eine (sicher waren sie eine schreckliche Katastrophe, aber warum „die Geschichte“ nun neu geschrieben werden muss, leuchtet mir nicht ein), aber dass das Gedicht eine Verbindung zu Menschenverbren-nungen und also auch zur Shoa herstellt, erscheint mir zum einen etwas willkürlich, vor allem aber problematisch. Vielleicht missinterpretiere ich auch die Darstellung, aber auch wenn etwas anderes gemeint ist, drängt sich die andere Lesart dennoch auf (zumindest mir).
     Im zweiten Teil werden die Landschaften dann nicht mehr von Katastrophen heimgesucht, sondern sind meist eher friedlich, beschaulich und verschmelzen mitunter, als Erinnerungslandschaften, mit dem Innenleben des lyrischen Ichs. Oft werden Geschichten erzählt, von denen wir als Leser*innen anscheinend nur die eine Hälfte, nur einen Ausschnitt erfahren und denen deshalb etwas Geheimnis-volles innewohnt. Immer wieder sind die Texte auch, hier und da, mit einer freundlich bis ironischen Komik gewürzt, in der aber wiederum eine gewisse Tragik aufscheint.
„Im Großen Haus stimmen
die Töchter die Geigen
dunkeln Celli und Bratschen
nach. Im Park rascheln Marder
durch Unterholz. Zur frühen
Stunde legen in ihren Betten
Männer feuchten Samen ab
mit dem ersten Strahl der Sonne
erschlaffen am Mast die Fahnen.“
              
Im dritten Teil werden die eher verstreuten Schwenke der Zärtlichkeit aus dem zweiten Teil etwas mehr zusammengeballt und es geht vor allem um Liebesbeziehungen (oder um eine, anhand verschiedenster Momente beleuchtet/erzählt). Die Leichtigkeit der Gedichte aus dem zweiten Teil wird fortgesetzt, bekommt aber etwas Drängendes, mitunter auch etwas reduktives.
In diesen Liebesstrophen finden sich einige wunderbare Formulierungen wie etwa:
„mein Herz tut schwere
Schritte mitten durch
mich hindurch“
   
Auch ansonsten sind die Gedichte dieses dritten Teils, in meinen Augen, die elaboriertesten, wobei ihre klaren Fixpunkte ihnen ein bisschen das Andeutungsvolle nehmen, das die Gedichte aus den ersten zwei Teilen ausmacht.
Ich mag Gedichtbände, die eine Vielzahl an Themen und auch an Stilelementen vereinen – „Gegen acht im Park“ habe ich daher mit Gewinn gelesen. Vom märchenhaft-verrätselten bis hin zum engagiert-kritischen Gedicht sind hier viele Spielarten und Tonlagen vorhanden.
„Die Zeit reißt den Rachen auf
schluckt Sterne Wellen stellen
das Funkeln ein nichts schwappt mehr“.

Und das schreibt der Herausgeber Jürgen Brôcan:  "In ihren neuen Gedichten betritt Ursula Maria Wartmann ein unbestimmbares Gelände, in dem genaue Beobachtung und Gefühl, Imagination und (zeit-)kritische Schärfe eine faszinierende Bindung eingehen.

Wartmann stellt die Menschen mit ihren Wünschen, ihrem Scheitern, ihren Begierden und ihren Verlusten in den Mittelpunkt, doch auch die Natur und die Tierwelt spielen - oft verfremdet und surreal - eine wichtige Rolle. Das geschieht mal zärtlich, mal wütend, in einer klar benennenden Sprache, die die Irritation dennoch nicht scheut.

 

Diese Gedichte werfen einen halluzinatorischen Blick auf unsere Gegenwart, der zugleich auch Freiräume öffnet, in denen die Hoffnung beheimatet ist."

 


 Am Erker - renommierte Literaturzeitschrift seit 1977

 erscheint halbjährlich im Daedalus Verlag. 1998 erhielt sie den Calver Hermann-Hesse-Preis für Literaturzeitschriften und erhielt mehrfach Förderungen des Deutschen Literaturfonds.

In ihrer neuen Ausgabe finden Sie eine Rezension zu Ursula Maria Wartmann: "Gegen acht im Park" - es endet mit der Empfehlung: "Ein packendes Debüt."

 

Hier klicken:

http://www.am-erker.de/rez8029.php

 


Kerstin Fischer:
Ursula Maria Wartmann "Gegen acht im Park" aus der edition offenes feld

 

"An den feinen, gleichmäßigen Nähten dieser Gedichte flammen schillernde Bilder. Das macht die Verse feuerhell. Darüber hinaus sind sie hinreißend in ihrer Sprachmelodie, die um die Erfahrbarkeit der Welt ringt, sie immer wieder findet und feiert, dabei ihren Sinn aber nur touchiert: „ Knattern der Zelte im Foyer streunt / der Fuchs durch das stete Rieseln der Zeit / im Wanken des Wolkenkratzers bauschen / sich unter den Decken der Luxussuiten / Spinnweben wie Wäsche im Wind. / “.

 

Beeindruckend ist das Farbspektakel der Wortsalven, in dem Herbstöne dominieren. Hier versteht jemand das Handwerk, mit Sprache Phantasie zu inszenieren. Alles ist bühnenreif, irgendwie.

 

Auch Umweltproblematiken werden darin nicht ausgespart: „ Die Kraniche kraulen bedächtig durch / warmen Wind im wolkenmeer wie / eh und je: In strikter Formation. In / der Tiefe des Atlantik stöhnt der Rochen / beim Verdauen einer Scherbe Tupperware. / “ . Nicht selten weiden die Gedichte ihre Bilder so in auch burschikoserem Nebel. Anregend sind auch die immer wieder auftauchenden atmosphärisch dichten, poetischen Turbulenzen, die in ihrer Anmut an die Dressur von Lipizzanern erinnern: „ das schmale Tal. Ein Anschlag vielleicht; ich / schwimme auf einer verrotteten Stalltür stammle / Gebete und in die Schreie des Bussards / verschränkt sich ein milchiger Sonnenstrahl. “

 

Die Komposition von markanten Bildern und weicheren Sequenzen ergibt blühende Schnittmengen, aus denen Wirklichkeiten entstehen, die wie an geträumten Fäden funktionieren. Muntere Glasperlenspiele sind das Ergebnis, wie sie nur gute Lyrik hervorzubringen vermag: „ Im Hof unten knospen die / Christrosen unterm Laub. Aus / dem Himmel fällt Winterwärme / fällt ins Haar auf die Schläfen erfüllt / das Erwachen mit Kosen / mit Kitzeln. Mit Licht./ “.

 

Aber auch den einfühlsamen, leisen Gleitflug durch Grenzsituationen beherrscht diese Dichterin. Der milde Wimpernschlag der Nähe des Todes ist voller Würde und fesselt in exzellenter Weise. Solche und andere Erfahrungen werden mit zarten Pinseln in das Innenreich des lyrischen Ichs getupft. Dabei sind die Verse anschmiegsam und souverän zugleich. Eine besonders spannende Raffinesse der Poetin.

 

Unsere Sinne werden verfolgt mit fester, sensibler Virtuosität einer Dichtung, die auch tragisch wittert wie in dem Gedicht „ Menschen opfern “ : „ Du hälst die Brust dem Zug hin der dich / überrollen wird du bist ganz ruhig: es ist in Ordnung so ; es ist der Lauf der Dinge. Am Nebengleis / bekreuzigen sich / die Erlösten: / “.

Ursula Maria Wartmann legt hier ein Lyrikdebüt vor, das sich sehen lassen kann, das fordert und beglückt.

Zu erwähnen wären auch noch die schönen, dezenten Illustrationen von Willem Pietersz Buytewech (geb. 1591 in Rotterdam, gest. 1624 ebenda), dem Begründer der niederländischen Genremalerei, aus „Verscheyden Landtschapjes“, die dem Band beigegeben sind und einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen."

 

Gegen acht im Park. Ursula Maria Wartmann. edition offenes feld, 2020.

 


Okulare und Kanäle

Zu Ursula Maria Wartmanns Gedichtband „Am Ende der Sichtachse“

von Monika Littau

 



 

 

 

 

 

 

 

 

In ihrem neuen Lyrikband führt uns Ursula Maria Wartmann ans „Ende der Sichtachse“. Wir wissen nicht, was sich an diesem Ort befindet, ob es der Punkt ist, wo die Sonne am Horizont auf- oder untergeht. Ob es sich um die markierte Stelle im Hamburger Stadtplan handelt, wo der Sprengmeister bereits den Sprengstoff angebracht hat und das Gebäude, vermutlich das Millentor-Hochaus, „in blitzschnelle Tiefe rauscht(e)“. Auch nach der Sprengung bleibt das Ende der Sichtachse markiert, vermutlich für neue Pläne.

Die Stiche des niederländischen Graveurs, Zeichners und Malers Gallis von Scheyndel (1635-1678), die auf dem Cover und vor Beginn der jeweiligen Kapitel des Buches zu finden sind, suggerieren, dass die Gedichte eine Genauigkeit im Umgang mit der Welt anstreben: des Meeres, der Landschaft, der Gebäude und der winzigen Menschen, die sich in der Landschaft entdecken lassen, Menschen, oft im Gespräch miteinander, bei der Arbeit oder beim Schlittschuhlaufen. Die Bilder legen nahe, dass sich ein Ende der Sichtachse finden und verorten lässt.

Aber Ursula Maria Wartmann ist keine Vermesserin, die mit technischem Gerät hantiert, nach Achsen, Entfernungen, Winkeln sucht, so dass sich vermuten lässt, die Gedichte umkreisen Orte, die überhaupt nicht sichtbar und fassbar sind, vielmehr  nur behutsam aufscheinen,

 

„Nachts wird die Geschichte weitererzählt

wenn du das Fühlen von der Leine

lässt von Schmerz von Gewalt unterm

Lebendrupf wirst du erfrieren dein Zittern

wird dich die Nacht entlang tragen …“

(S.16)

 

„Auf dünnem Seil“ heißt dieses für das erste Kapitel titelgebende Gedicht.

Insgesamt gibt es fünf Zitate, unter die die Autorin ihre Texte bündelt. Im ersten Kapitel behandelt sie existenzielle Themen, spricht über den Tod zweier Kinder und die Trauer der Eltern, spricht über den Krieg und die Belastungen, die er nach sich zieht: „Unsere Koffer sind ramponiert/randvoll mit dem Schweigen der Mütter“  (S. 14) heißt es da. Die Lyrikerin spricht über die Schuld der Großmütter,

„die Skrupel streichen sie mit knotigen Fingern/am steifen Brokat der Vorhänge ab“

(S. 17).

 Immer wieder geht es um die innere Kraft und die fehlende Wärme: „Das Weltenherz pumpt Kälte“ heißt es da (S. 18), oder „der Herzmuskel taumelt/unter dem wütenden/Brennen nach/Schutz nach/Zuhause.“ (S.19)

Heilung gibt es weder in der Herkunftsfamilie und „klassischen“ Familie, noch im „Kirchenschiff“. Zitiert werden im zweiten Kapitel Orte der Gewalt und des Missbrauchs. „das Schweigen“, heißt es dort, „sagt man ist die Siegerin der Lüge“ (S. 27). Das Abschlachten von Frau und Kind wird euphemistisch zum „erweiterten Selbstmord“ deklariert. Eine Spirale beginnt sich zu drehen, Gewalt löst Gewaltphantasien aus. „Schluck, du Luder“ steht auf dem Altpapierfahrzeug. Die betrachtende Frau

„(…) lädt ihren Hass in Ruhe

durch und trifft beim ersten Mal

                  

Das Grinsen platzt hinter der Scheibe

weg wie eine reife Melone…“

 

Gejagte fliehen, Frauen singen „Lieder von Freiheit“, lassen die Bombe hochgehen, die den Herrschern ein Ende bereitet. (S. 37)

 Glückliche Momente finden sich nur „Auf dem Weg zu dir“ – so der Titel des dritten Kapitels - wenn „das hungrige Herztier/hinter dem Rippenbogen/grast“ (S. 43),

wenn das lyrische Ich die Tür zur Waldlichtung aufstößt und auf dem Weg zu seinem Gegenüber ist, sich des Innersten gewahr wird und „(…) dein Lächeln/wie Quecksilber über/mein Herzrot hin“ rollt. Es ist die lesbische Liebe, die den Geschmack der Süße bringt, wenn „Unter dem Gaumen die/warme Runzelknospe der Brust“ (S. 47) Süße verspricht, Bereitschaft zu Milde und Wachstum in der Beziehung erhoffen lässt (S. 48).

 



 

Im vierten Kapitel richtet die Autorin ihr Augenmerk auf die Natur, ökologische Probleme, den möglichen Untergang. Borkenkäfer zerstören Wälder, Wale verenden, nukleare Endlager werden nicht gefunden, Fluten bedrohen Menschen. Und trotzdem flackern

 

„Träume wie schwarze

Dochte wir fahren hinaus wir

fischen sie von den Schaumkronen

mit sperrigen Netzen wir

schicken sie in die Umlaufbahn

der Hoffnung (…)“ (S. 65)

Das letzte Kapitel des Buches trägt den Titel „Im Süden traurig sein“.  Nicht ohne Trauer, aber mit der Gewissheit zu bleiben, endet der Lyrikband.

„Ich werfe mein Sehnen

mit weitem Arm in

die Zukunft wie

einen Anker. Hier

bleibe ich…“ (S. 91-92)

Und auch im Winter findet sich Hoffnung: „…Unsere Träume/fädeln wir am Ofen zum Trocknen auf/so gehen sie uns nicht verloren.“ (S.97)

Ursula Maria Wartmann ist von Hause aus Journalistin und begann ihre literarische Arbeit zunächst mit Erzählungen und Romanen. Seit 2019, also erst seit kürzester Zeit, schreibt sie auch Lyrik. „Am Ende der Sichtachse“ ist nach „Gegen acht im Park“ (2020) der zweite Gedichtband, der in der edition offenes feld erscheint. Den ersten Texten des gerade erschienen Buches spürt man die Journalistin noch ein wenig an, hat den Eindruck, dass Ursula Maria Wartmann auf Presseberichte, Bilder reagiert und die Ecken auszuleuchten versucht, für die im Journal kein Platz ist. Sie geht deutlich über die Sichtachse hinaus, ist auf der Suche nach der persönlichen Wahrheit, der „Herzenswahrheit“. Selten habe ich in jüngster Zeit einen Lyrikband gelesen, in dem so oft das Wort Herz vorkommt, ohne zu belasten, ohne pathetisch zu werden. Ursula Maria Wartmann scheut sich nicht, diese Metapher zu verwenden, stellt sie in Kontexte, die mit starker Metaphorik ein Gesamtbild eingehen. Sie belauscht die Katzen „die sich durch Hunger wühlten wie wir und durch unsere Träume“, durchschreitet Räume voller „taunasser Streuobstwiesen der Angst“ (S. 14) und voller Hoffnung.

In freien Rhythmen, die den sprachlichen Eindruck mit Alliterationen und Parallelismen, einem Zeilenbau, der Ambivalenzen aufzeigt und Bedeutungsverschiebungen bewirkt, geht sie bewusst dorthin, wo nicht mit dem Auge betrachtet wird, zumindest nicht ausschließlich. Man sieht nur mit der Lyrik gut, könnte man am Ende bestätigen. Die Gedichte von Ursula Maria Wartmann sind zugleich Okulare, um tiefer in die Welt zu schauen und Kanäle, durch die etwas Neues in die Welt eintritt.

 


Ulli Gau zu "Gegen acht im Park"

https://cafeweltenall.wordpress.com

 

...

Ihre Gedichte lassen mich an Rock’n Roll, manchmal auch an Punk denken. Der Wortrhythmus ist meist schnell, die Themen sind die, die manche gerne auslassen; solche, die das Leben lieber verromantisieren, dem Leiden in der Welt rosa Tülltücher überhängen, die aussparen, was weh tut. Wartmann macht das nicht. Sie benennt das, was schmerzt, heute schmerzt. Sie geht nicht am menschlichen Leid vorbei, nicht an der Verwüstung der Natur, nicht an der Unbill unserer Zeit.

 

Sie klagt nicht, sie klagt nicht an, sie benennt. In ihrem schnellen Rhythmus schreibt sie über das, was nicht stimmt in unserer Welt. Ja, das tut manchmal weh; so, wie Nachrichten weh tun, so, wie mancher Gang durch große Städte weh tut, wie Kriege und deren Folgen, wie Ungerechtigkeiten, Egoismus, Verhärtungen Diejenigen schmerzen, die sich eine andere Welt wünschen.

Wartmann weiß die Worte zu setzen.

Hinter dem Schmerz steht die Freude, die Liebe, das Kleine, Leise, Zarte, all das finde ich auch und nicht nur zwischen den Zeilen.

 

Ein Gedichtband, den ich euch gerne ans Herz legen möchte. Ich hoffe auf mehr aus Wartmanns Feder.

 

Hier ein Lesebeispiel, eins vom Glück (vielleicht weil Adventzeit ist) –

 

Natürlich ist es Glück

 

Natürlich ist es Glück. Im Haar

der Kranz aus blauen Blumen den

heiterste Nachtträume webten

von Norden das Summen der

Kirchenglocken gegen Fensterglas.

Im Hof unten knospen die

Christrosen unterm Laub. Aus

dem Himmel fällt Winterwärme

fällt ins Haar auf die Schläfen erfüllt

das Erwachen mit Kosen

mit Kitzeln. Mit Licht

 

Ursula Maria Wartmann "Gegen acht im Park", edition offenes feld 2020. Gebundenes Buch, Schutzumschlag und Fadenheftung. Das Coverbild und die vier Illustrationen aus: Willem Pietersz. Buytewech, „Verscheyden Landtschapjes“ .

 

Empfehlung des Monats der Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik in Leipzig:

 

„Am Ende der Sichtachse“

April 2022 – Empfehlung des Monats von Monika Hähnel

Nach Gegen acht im Park (2020) legt Ursula Maria Wartmann aus Dortmund nun bereits einen zweiten Gedichtband vor, der wiederum bei eof (edition offenes feld) erschienen ist. Als Schriftstellerin ist die mehrfach preisgekrönte Autorin vor allem durch Romane und Erzählungen, Reportagen und Essays bekannt geworden und hat nicht, wie weitaus üblicher, mit Lyrik begonnen. Dennoch haben wohl auch bereits die Sammlungen auf ihrer Homepage „Wortschätze und Bildwelten“ auf ihr poetisches Weltverständnis verwiesen, das in ihrer bisherigen Arbeit gründet.

Deshalb gliedert sich auch der neue Band inmehrere Teile, deren Überschriften sich jeweils

aus einem gleichnamigen Gedicht speisen und die thematische Spannbreite andeuten – schöne und gefährdete Landschaft und Natur, schwierige Geschichte und Gegenwart, Liebe und Trauer…

Einige Gedichte, die sich stofflich wohl eher vergangener Zeit verdanken, machen durch die Parallelen zum Heute in besonderer Weise betroffen:

                        … so ruhig sagt das Kind aber wo ist er

                        der Krieg liegt im Graben in Stellung

                        die Stiefel gewichst die Bajonette

                        geschärft doch das sagt niemand

                        dem Kind hat genug gesehen

                        und erlebt soll nun glücklich sein. (Aus: In Stellung)

Manchmal sind es solche Szenen, die die Strophen tragen und insofern sich wie Prosatexte organisieren, aber immer zeigt sich auch das starke Interesse der Dichterin, uns als Leser durch originelle Bilder, sorgsam gewählter Sprachelementen verschiedener Stilebenen und stark auch  durch den von den Zeilensprüngen bewirkten Rhythmen zum aufmerksamen Lesen anzuregen.

Das erweist sich durchaus als nicht einfache Aufgabe, zumal in der Regel auf alle gliedernden Satzzeichen verzichtet wird und nur der Punkt hinter dem letzten Vers sagt: Ende.

Oft entsteht aber gerade durch diese Mittel auch Doppeldeutigkeit: wir lassen das hungrige Herztier / hinter dem Rippenbogen grasen; es wird nicht losgelassen, es darf sich nähren. Am Strand beperlt die Bö unsere Haut oder Im schillernden Radschlag / der Federn das Funkeln des Fensters / als du es hastig schließt sind nur zwei Beispiele der sehr gelungenen und aus emphatischer Beobachtung kommenden Bilder, die gleichsam einen Anker werfen in unsere Assoziationen.

Dann macht auch das einzelne ungewöhnliche Wort, zum Beispiel Saugfuzß  aufmerksam, dass es kein Druckfehler ist, sondern, verwandt mit dem althochdeutschen fuoz, zeigt, wie der Gecko, der eine Glasscheibe durch die Haftlamellen an seinen Füßen hinauflaufen kann, hier im Gedicht dem Tag seinen Stempel aufdrückt.

Solche Wortpreziosen finden sich mehr – Lebendrupf, Sonnenknistern, steifer Brokat, kantiges Gold – und auch sie  tragen dazu bei, dass sich die Gedichte überzeugend mit den scheinbar aus der Zeit gefallenen Lithographien des niederländischen Gillis van Scheyndel (gestorben 1679) paaren. Ein gelungenes Lese- und Schaubuch wartet auf unsere Entdeckungen!

Ursula Maria Wartmann: „Am Ende der Sichtachse

edition offenes feld, Dortmund 2021

Hardcover mit SU, Fadenheftung

ISBN 9783754304730

100 S.

19,50 €


AVIVA-BERLIN.de im Mai 2022 - Beitrag vom 10.02.2005


Rückkehr der Träume von Ursula Maria Wartmann
Sabine Grunwald

Eine Frau kehrt nach dreißig Jahren nach Hause zurück, um ihre Mutter wieder zu sehen und sich endlich ihrer Vergangenheit zu stellen.

Rena lebt mit Mutter und Vater in einer Kleingartenkolonie am Rande von Hamburg. Die streng gläubige Mutter wird nach dem Unfalltod des Vaters noch unzugänglicher und Rena fühlt sich unverstanden und ungeliebt.

Die Situation zwischen Mutter und Tochter spitzt sich zu, als es offensichtlich ist, dass Rena etwas "Sündiges" begeht - sie verliebt sich in Frauen. Die bigotte Mutter kann ihrer Tochter das nicht verzeihen. Das Unglück von Rena kulminiert, als sie von einem Nachbarssohn vergewaltigt wird und annehmen muss, dass dies mit Billigung ihrer Mutter geschah.

Rena zieht schwanger und schwer traumatisiert zu ihrer Tante nach Frankfurt.
Nach dem Tod des Säuglings fällt sie in schwere Depressionen und ist jahrelang von Psychopharmaka abhängig. Nur die Liebe ihrer Tante und die Hilfe von Freundinnen retten sie vor einem endgültigen Zusammenbruch.

Nachdem sie kategorisch jeden Kontakt zur Mutter verweigert, fasst Rena nach dreißig Jahren den mutigen Entschluss, sich ihrer Vergangenheit zu stellen.
Es gelingt ihr nicht nur, sich ihrer Mutter zu nähern, sondern bringt auch noch den Mut auf, ihren damaligen Vergewaltiger zu stellen.

AVIVA-Tipp: Ein erschütternder Bericht über eine verlorene Jugend und den Ballast ungeklärter Probleme, durch den beinahe ein Leben zerstört wurde.

Zur Autorin:
Ursula Maria Wartmann, 1953 im Ruhrgebiet geboren, studierte Soziologie. Als Redakteurin und freie Autorin erhielt sie zahlreiche journalistische und literarische Auszeichnungen und Preise. 2003 erschien der Roman "Die Angst der Kaninchen".