Silvester. Nachts.
Fast Mitternacht zur Jahreswende
schauert Regen aus buntem Licht
schäumt mein Blut in einer Zentrifuge
aus glattem Gold tausend Tropfen Kinderfüße
scharren scheu auf Dielen Gesichter
flach wie Lampions im Nebel
der Raketen wir steigen mit
schwerem Atem weiter und dann:
ist es zwölf. St. Reinoldi wankt
unter der Wucht des Glockenschlagens
der Markt weit unten im Jubel aus
wollenem Handschuh schießen
Nägel wie Spargel all
das Blinken der Smartphones die
Rufe das Lachen die Wünsche in jeder
Zelle ein Zittern Erschüttern das Staunen der
Himmel ein Kaleidoskop und
in den Wimpern klumpen Tropfen
aus Eis.Im Kirchenschiff unten
die Klappe. Da wurde den
Pestkranken Suppe gereicht
ins Gotteshaus
durften sie nicht.
30. Dezember 2021
Ich wünsche uns allen ein glückliches 2022 - voller Kraft und Erfülltsein, voll Liebe und Lebensfreude.
aus: Ursula Maria Wartmann "Gegen acht im Park", edition offenes feld 2020. Hardcover mit Schutzumschlag und Fadenheftung.
aus: Ursula Maria Wartmann "Am Ende der Sichtachse", edition offenes feld 2021. 100 Seiten, mit Zeichnungen von Gillis van Scheyndel
22. Dezember 2021
Winter
Am Morgen hauchen wir
die Draußenwelt ins Fenstereis
wo hinter dem Zaun der Bach
zwischen den Weiden klirrt.
Unterm First flattert der Sperling
der schwere Flügelschlag der Eule
schaut vorbei ich schüre zitternd
das Feuer lege die Finger unter die
Achseln während die Flamme
knackt und springt spaltest du
Buchenholz für den Tag
sollte es reichen. Im Kessel simmert
der erste starke Tee.
Dies wird ein großer Tag voll Kälte
und Klarheit sein. Unsere Träume
fädeln wir am Ofen zum Trocknen auf
so gehen sie uns nicht verloren.
14. Dezember 2021
Lappland Hotel
Lappland Hotel. Wir hatten Ren
am Abend süßen Pudding und
scharfen Schnaps und nachts
um drei bestäubte die Sonne unsere
Hütten am Berg den See jedes Zimmer
mit Sauna und an den Wänden Fotos
von alten Menschen mit ernsten Mienen
und hohen Stiefeln aus Fell. Da hinten:
Im Schatten des Stamms stehst du
geknickt in müdem Hüftschwung
das Haar gelockt bis zur Schulter ein
halbes Jahr hast du beim Abendessen
berichtet mehr nicht was soll man
da sagen bei Ren süßem Pudding
und scharfem Schnaps; wir wussten
es nicht. Ich spreize die Jalousie zum
Dreieck mit zwei Fingern ich lege
ein Pharao-Auge hinein es schwimmt
mir wässrig in der Höhle der Stirn die Sonne
strahlt auf den See und auf dich wir werden
all das wiedersehen wir müssten nur wollen noch
wartet der Bus auf Leute wie uns.
aus: Ursula Maria Wartmann "Gegen acht im Park", edition offenes feld 2020
6. Dezember 2021
Atelier Johanna Hansen in Düsseldorf. Besuch bei einer charismatischen Künstlerin im trubeligen, jugendstiligen Szeneviertel Düsseldorf-Bilk. Johanna Hansen ist Malerin, Autorin und Herausgeberin des Literaturmagazins WORTSCHAU.
Viele Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen gehören zu ihrer Vita; seit fast fünfzehn Jahren veröffentlicht sie außerdem Lyrik, oft in Kombination mit eigenen Bildern. Das alles (und noch viel mehr) unter johannahansen.de.
Es war ein kurzweiliger, tiefsinniger und auch witziger Nachmittag bei Keksen und Tee an weißgestrichenem Chippendale. Und einer Tischtuchskizze, die sie - was lag
näher - "Ulla" nannte. Es ist nur und nur genial, was sich an Austausch und Begegnung immer wieder über die Kunst neu entwickelt. Und das - ho! ho! hoho! - auch noch auf meine alten Tage. Beim
Stöbern in Bilks schicken Läden gleich die passende Postkarte zum Thema gefunden: "Für alle, die es immer noch nicht verstanden haben: NORMAL ZU SEIN, WAR NIE MEIN ZIEL!" Yes. So
isses.
aus: Ursula Maria Wartmann "Am Ende der Sichtachse",
edition offenes feld 2021
5. Dezember 2021
Trost
Wir teilen den Trost der Gebete
wie Brot zerdrücken wir Worte
unter dem Gaumen
schmecken das Bittere
Wahre des ewigen Lebens.
Wir atmen im Zwielicht im
Dunkeln treten wir auf
der Stelle prüfen die
Pole der Einsamkeit
ertasten zögernd
die Haut auf der Milch
legt sich faltenweich auf die Zunge.
28. November 2021
Das Chanukka-Fest
wird weltweit von Juden und Jüdinnen ab dem 28.11. gefeiert. Dabei wird eine Menora, der achtarmige Leuchter, entzündet, dessen Licht aus einer extra Kerze - Diener genannt - in der Mitte des Leuchters entzündet wird. Das Lichterfest geht auf eine Begebenheit aus dem Jahr 165 vor der christlichen Zeitrechnung in Jerusalem zurück.
Der größte Chanukka-Leuchter ist zehn Meter hoch und steht auch in diesem Jahr vor dem Brandenburger Tor in Berlin. In Dortmund wurde ein Leuchter von Kulturdezernent Jörg Stüdemann auf dem Platz der Alten Synagoge auf der Terrasse der Oper entzündet. Die Synagoge wurde 1938 von den Nationalsozialisten zerstört. Sie galt als eine der schönsten, größten und kostbarsten jüdischen Gotteshäuser in Deutschland. Heute gibt es nur noch Fotos von ihr. Es war das erste und symbolträchtige Mal, dass das Lichterfest hier gefeiert wurde - mit Liedern und Musik, Lobpsalmen und ausgelassenen Tänzen zum Schluß. Chanukka ist traditionell auch ein Familienfest, wo Bräuche gepflegt werden und es in Öl gebackene Speisen gibt, zum Beispiel Latkes, Kartoffelpfannkuchen und Krapfen. Auf dem Platz der Synagoge ist auch eine Ausstellung zu sehen, die Auskunft über das Wüten der Nationalsozialisten gibt.
Ein Gastbeitrag von Ursula Maria Wartmann
Bevor sie 2015 nach Deutschland kam, war ihr Zuhause Salamieh. Salamieh – das ist eine kleine Stadt mitten in Syrien, ungefähr vier Autostunden von Damaskus entfernt. Dort ist sie aufgewachsen; wir nennen sie S. Ihre Kindheit war ruhig und überschaubar. Ihr Leben zunächst auch. Schule, Studium, Heirat, zwei Töchter. Dann kam der Krieg, und er kam immer näher …
21. Oktober 2021
Zeeland
Goes, Veere, Zieriksee ... und all die anderen Orte auf den Inseln - verwunschen, zum Teil dem Meer abgetrotzt, verspielt und wunderschön: die Niederlande werden von vielen geliebt; heiß und innig von den meisten Menschen nicht weit von hier im Ruhrgebiet. Ab morgen wird der Lockdown neu verhängt, vor einer Woche wurde der Teillockdown ausgerufen. Von außen schien in diesen kurzen Novembertagen alles wie immer. Die klare und salzige Luft, das schäumende Meer. Das Glitzern der Sonne. Der Weihnachtsschmuck in den Straßen. Die Buden mit Kibbeling en frietjes. Und doch wird es wieder ein Winter voll von Unsicherheit und Ängsten sein.
14. Oktober 2021
Neue Rezension von Monika Littau
zu "Am Ende der Sichtachse"
Großartig, kongenial. Glücklich machend.
10. Oktober 2021
Sie ist da:
Die WORTSCHAU ist erschienen. Dreimal im Jahr gibt es sie, zu wechselnden Themen. Viele Autoren und Autorinnen schreiben hier, die sehr bekannt sind oder weniger, die Macher*innen aber mit ihren Texten überzeugt haben.
Ich freu mich sehr, dass ich, als Lyrikerin weniger bekannt, diesmal dabei bin - mit "Fremde Freiheit."
9. November 2021
In Erinnerung
an die Familie Pinkus in unserem Nachbarhaus - Dorothee, Regina und Max - , deren Mitglieder dem Terror der Naziherrschaft zum Opfer fielen.
Wir dürfen niemals vergessen!
8. September 2021
Ausflug nach Hamburg
zum Geburtstagfeiern ...
Die "weidenkantine"
hat auf Wunsch der Jubilarin ein sensationelles mehrgängiges Menue gezaubert. Vegetarisch und so, dass wirklich niemand etwas vermisst hat. Zora Klipp führt die "weidenkantine" mit ihrer Schwester Ronja. Sie kocht regelmäßig im NRD; ihr erstes Kochbuch "Koch's einfach" wurde zum Spiegel-Bestseller gekürt. Wahrscheinlich steht ihr eine große Zukunft bevor.
Gut so: verdient! Viel Glück!
4. November 2021
Auf dünnem Seil
Dunkle Amselkörper fallen vom Himmel wie
Fliegerbomben aus einem Flugzeugbauch schlagen
sie in Höfe ein in Gärten kein Mensch mehr sieht
hin im Sommer waren es Spatzen.
Ein neuer Baustein der Apokalypse
mehr nicht die Kehrer fegen und säubern
die Straßen die Autobahnkreisel Balkone
nicht einmal nachts unter der Decke
aus Daunen gibt es Haftaufschub oder
am Ende: Verschonung.
Nachts wird die Geschichte weitererzählt
wenn du das Fühlen von der Leine
lässt von Schmerz von Gewalt unterm
Lebendrupf wirst du erfrieren dein Zittern
wird dich die Nacht entlang tragen
auf dünnem Seil zwischen den Türmen
der Stadt dein Zittern wie Espenlaub
spät im Herbst so sagen es die Geschichten
da trugen die Bäume noch Laub
flirrte das Blatt bunt unter dem
roten Tanz der Sonne.
aus "Am Ende der Sichtachse", edition offenes feld 2021
31. Oktober 2021
Alte Heimat Marburg
Wo es noch alte Freundschaften aus den bewegten Uni-Zeiten gibt, kann man immer auch das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden.
Ein mir bis dato unbekannter Kollege - Andreas Hutt - las im Haus der Romantik oben am Marktplatz aus seinem Gedichtband "Schritt auf Schritt", erschienen, wie auch meine Lyrikbände, in der edition offenes feld. Das war anregend und spannend an diesem geschichtsträchtigen und schönen Ort. Die Begegnung mit Freundinnen war nicht minder spannend und schön (auch wenn die Nächte heute deutlich kürzer sind als früher ...). Aber, seufz, was will man machen.
Fotostreifzug durch die Oberstadt. Erinnerungen an jeder Ecke. Sensationell der heisere Hahn, der seit Menschengedenken oben am Rathaus aus voller Kehle die vollen
Stunden bekräht und dabei mit den Flügeln schlägt. Legendär die langen lauen Nächte zum 1. Mai mit Wein und Gesang. (Mehrsachichdazunich ...).
16. Oktober 2021
Nachlese
Sonne satt!
Bodden und Meer, Sand und Sonne und Wind. Und der stete Ruf der Kraniche, die auf dem Weg in den Süden hier Rast machen. Goldener kann ein Oktober nicht sein. Die Halbinsel Fischland-Darß-Zingst ist ein magischer Ort, auch zu Zeiten touristischer Wanderbewegungen, wo die Zahl der Gäste, auch Corona geschuldet, so hoch ist wie noch nie. Die Gegend hier oben in Mecklenburg-Vorpommern gehört, so sagt man, zu den Ecken in Deutschland mit den meisten Sonnenstunden. Wer wollte das bezweifeln: So einen Oktober haben wir noch nie erlebt.
Welch ein Geschenk!
Nachlese
14. Oktober 2021
Backstein und Barock am Bodden
In vielen kleinen Dörfern südlich der Boddengewässer stehen Jahrhunderte alte Backsteinkirchen, zum Teil prächtig, beinahe überbordend ausgestattet. Es gibt
ausgeschilderte Routen, damit man sie erkunden kann. Hier die Saaler Dorfkirche, in der 1286 der erste Priester tätig war. Der hölzerne Glockenturm wurde um 1475 am Eingang des Friedhofs erbaut.
Vor kurzem wurde hier Erntedank gefeiert.
13. Oktober 2021
Nachlese
Licht Luft Kraniche - in Barth
8. Oktober 2021
"Sonate" aus: Am Ende der Sichtachse, edition offenes feld 2021
Sonate
Vor der wuchtigen Waldwand
lauscht die Ricke in die Dämmerung
fällt der sanfte Seufzer einer Frau
die sich im Forsthaus mit dem Lehrer
des Sohns an einer Sonate versucht
lädt im Hochstand die dunkle Hand
des Försters das Gewehr das
tagsüber im Eichenschrank
neben der alten Standuhr steht.
Ein mächtiger Knall.
Die Ricke war schneller.
Aus: Am Ende der Sichtachse. edition offenes feld 2021
3. Oktober 2021
Gute Geister
Als der Hahn nicht mehr kräht
tropft Stille durch das Blätterdach
des Sommermorgens rote
Panzer der Feuerwanzen hasten
über geharkte Wege im Geäst
des Birnbaums Lampions im
leisen Wind das Zittern der
Grillen im Gras.
Am Abend werden Gäste
erwartet zur frühen Stunde
der krosse Duft schon
nach Entenbrust Rehrücken
der Leber vom Kälbchen.
Gute Geister
bereiten die Feier vor.
Hitze
Ich schmelze vor meinen Augen
im Spiegel im Ofen verbrennt
knisternd das Brot die Angst
wartet heiß und mächtig
hinter der morschen
Mauer wird sich Gottes
Hass entladen wird sich
ducken ein Reflex ohne
Sinn sein kein Entkommen
wenn an all den heißen Tagen
ohne Wind die Spitze
des Kirchturms in
Wolkenblasen sticht
wenn der Pegel sinkt.
Wenn Dürre droht.
29. September 2021
Zwei Gedichte aus "Am Ende der Sichtachse", edition offenes feld 2021
Hoffen
Wir jäten gebückt die Beete
wo trockene Erde staubt
in den Reihen der Liebe
schießen schnurgerade
Zweifel wie Unkraut hoch
wimmeln Gespinste und Spinnen
zwischen Krumen und Kraut.
Ich umarme deine Worte
bevor ich sie in die Reihe
der Jungpflanzen setze auch wenn
sie mich verletzten hoffe ich
auf Ernte die uns ernährt wenn
die Fahrwasser ruhiger werden wir
bereit für Milde sind auch
mit uns selbst.
27. September 2021
Der Ruhrpott ist eine Wundertüte!
Uuhhh! Heute wieder etwas Neues entdeckt ...
Hattingen ist schon unglaublich schön, Essen-Kettwig auch oder Mülheim an der Ruhr. Fachwerkhäuser, enge Gassen, romantische Winkel. Cafés und Galerien, Kleinkunst,
alte Kirchen ... Strenggenommen ist in der Metropole Ruhr an jeder Ecke etwas, was man nicht erwartet. Zumindest dann nicht, wenn man das uralte Klischee im Kopf hat, was von der Realität
allerdings vor Lichtjahren schon überholt wurde. Yes, please: den Schalter bitte - JETZT - umlegen!
Wir also heute in Herten-Westerholt - dreißig Kilometer von Dortmund entfernt und so richtich mittendrin in der definitiv spannendsten Region Deutschlands. Da ist das "alte Dorf", randvoll mit charmanten und hervorragend sanierten Fachwerkensembles. Und da ist das Schloss - ein prächtiges Wasserschloss, voll Glanz und Gloria vergangener Tage. Heute kann man drinnen oder draußen gut essen und Golf spielen, und wer sich dabei nicht unwiderruflich verkracht, könnte sich im Rittersaal auch trauen lassen. Der Parkplatz ist voll mit teuren Karossen, aus dem benachbarten Holland oder aus Belgien kommt man auch gerne mal rum.
Das Grafengeschlecht von Westerholt wurde 1193 erstmals urkundlich erwähnt; später nannte man sich Westerholt zu Gysenberg. Schmankerl am Rande: Maria Anna Wilhelmine von und zu Westerholt-Gysenberg war eine Jugendliebe Beethovens.
Überhaupt war die Geschichte des Hauses und derer, die dort lebten, eine überaus bewegte. Aber das, by the way und dem Himmel sei Dank, war unsere ganz persönliche ja auch, was?!
Westerholt! Schon wieder ein neuer Hotspot für Gäste von außerhalb, die das alles einfach nicht glauben wollen. Die werden noch ganz jeck, weil das alles irgendwie einfach nicht wahr ist. Aber wißt ihr was?
Isses doch!
26. September
Nachlese:
Impressionen aus Ostfriesland
16. September 2021
Schock beim Frühstock ... ähh: stück!
Wie alt bin ich beim Ablaufdatum der wunderbar köstlichen Kirschmarmelade?
Ach, ich denk lieber nicht drüber nach.
Wir wissen es ja: dat Leben welkt wie Gras ...
13. September 2021
Wunderwerk Text
Die Gruppe 48 hatte zum Wettbewerb geladen: Für ihre Ausschreibung zum Literaturwettbewerb 2021 wurden über 1000 Einsendungen - Lyrik und Prosa - gesichtet; stattliche 12 000 Euro waren ausgelobt worden.
Von den acht für die Endausscheidung nominierten Männern und Frauen erhielten in der Sparte Lyrik Maja Loewe und in der Sparte Prosa Juliane Pickel den 1. Preis. Großartige Texte von den beiden bereits mehrfach preisgekrönten Autorinnen.
Daneben haben es 48 Autoren und Autorinnen unter den Hunderten von Einsendungen in die "Auslesetexte" der Anthologie geschafft; fünf Gedichte von mir sind dabei.
Am 12. September fand in Schloss Eulenbroich bei Rösrath das große Finale statt; das Publikum konnte nach der Vorstellung der einzelnen Texte mit votieren. Mittagspause mit Imbiss, draußen strahlender Sonnenschein - da konnte man gut ins Gespräch kommen.
10. September 2021
Unterm Flieder
Ich bringe dir einen Strauß Sätze
mit du magst Nelken ich habe
auch noch Kosmeen dabei und
Kalifornischen Mohn komm
mit in den Garten unter
den Flieder dein blauer Blick
soll strahlen unter meiner Rede
soll die Kälte der Welt
zu Splittern zerspringen sich
neu formieren zu fetten Wiesen wo
sich munter Sumpfdotterblumen
tummeln bereit sich zu rangeln
um den besten Platz
im Licht um ein Lächeln von dir.
aus Ursula Maria Wartmann "Am Ende der Sichtachse",
edition offenes feld 2021
9. September 2021
Offene Nordstadtateliers
Am vergangenen Wochenende gab es krankheitsbedingt nur ein winziges Programmpünktlein aus dem riesigen Angebot der Nordstadtateliers.
Es zog uns zu Andrea Fortmann, Grafikerin und Designerin, die ihr Atelier (das sie mit Christina Kreymborg teilt) in der Westerbleichstraße hat. Ihr Schreibtisch steht im Unionviertel im Union-Gewerbehof, wo sie neben vielem anderen der Unionviertelzeitung ihr Gesicht gibt.
Spannend, ihre neuen großformatigen Acrylwerke, ihre Kohlezeichnungen, die Grafiken und all die Geschichten dazu. Die Künstlerinnen arbeiten unterm Dach, ein uraltes verwittertes Treppenhaus führt dorthin, was so manche Geschichte erzählen könnte. Es ist selbst ein gewachsenes Kunstwerk mit vielschichtiger Patina. Handläufe und Holz mit mehrfarbigen Lackspuren. Interessant der hellgrau lackierte Träger unter den Holzstiegen: er ist aus Eisen, das haben nicht viele der alten Häuser, die um 1900 bis ca. 1910 gebaut wurden.
1. September 2021
Rosen aus Norddeutschland
mit dem imposanten Namen "Lady Ashley" gab es von dem Freund und der Freundin aus Pinneberg, die zur Lesung im Studio B angereist waren und ein paar Tage im Unionviertel geblieben sind.
Die Gegend nordwestlich von Hamburg ist berühmt für ihre Baumschulen und für ihre Rosenzucht. Sogar bei dem in diesem Sommer leider üblichen "Schietwetter" ist der Strauß trotz langer Anreise in wunderbarster Üppigkeit aufgeblüht. Und das Schönste, als wäre das nicht genug: Er duftet so herrlich ...
Die WORTSCHAU
ist eine literarischeAchterbahn, kopfüber herzunter, doch mit Bodenhaftung. Ein Magazin für
Gegenwartsliteratur, in dem poetische Luftsprünge ebenso Platz haben wie tiefschürfende Essays. Seit 2007 schauen wir dem Wort
auf's Maul und sondieren Tendenzen und Sentenzen.
Denn der wichtigste Indikator für das Verstehen der Welt ist die Sprache. (Aus der WORTSCHAU)
25. August 2021
Das Logo der WORTSCHAU
die drei mal im Jahr erscheint. Die aktuelle Ausgabe, die in Kürze in Druck geht, steht unter dem Thema "Fernweh", zu dem zahlreiche Autor*innen gearbeitet haben. Auch von mir sind Gedichte dabei. - Made my day!
Mehr unter www.wortschau.com
23. August 2021
Kalligrafie kongenial
Regina Michel, u.a. bildende Künstlerin aus Marburg, übt sich derzeit in Kalligrafie (aus dem Griechischen: Kunst des schönen Schreibens). Sie hat zwei Gedichte von
mir in dieses Medium "übersetzt".
20. August 2021
Endlager am Morgen
Die Flanken des Haflingers beben nach Zucker
ein Wiehern über den Nebelwiesen
die Mähne glatt wie Gardinenfäden
unter der ordnenden Hand.
Am Draht zittern Strähnen
des gelben Schweifs triefen
Tropfen drüben am Wald das Camp:
Aktion gegen das Lager im Salz
und gegen gefährliche Frachten.
Hinter den Ställen schreit
die Katze baden sich Spatzen
balgend im Sand. Morgenrot wandert.
Die greise Ratte wartet mit zitternden Muskeln
unter der Birkenwurzel die Scheunen gefüllt
bis zum Dach für’s erst dann keine Not und doch
nistet die Angst hinter den Stores dem
glatten Fensterglas dunkel zwischen
dem stumpfen Rot der Ziegel.
Blesshuhn
Brückenpfeiler. An dunklen Moosen
sprudelt Wasser fließt und
trudelt und oben rast
der Schrei der Sirenen
durch Autokolonnen.
Unten schaukelt das Nest des Blesshuhns
es brütet behütet das sachte schaukelnde
Reich aus Reisig aus Plastik aus Styropor.
Auf der Brücke verlieren sich zwei
junge Männer im Glanz ihrer Augen
dem hohen Gewölbe des rascher
fliegenden Himmels.
aus: Am Ende der Sichtachse, edition offenes Feld 2021
16. August 2021
14. August 2021
Dabei sein ...
ist schon ganz schön schön!
Die Gruppe 48 hatte zum Wettbewerb geladen - es kamen über 1000 Einsendungen - Lyrik und Prosa - zusammen, die sich an der Ausschreibung zum Literaturwettbewerb 2021 beteiligten.
Davon haben es - neben den acht für die Endausscheidung Nominierten - 48 Autoren und Autorinnen in die Anthologie geschafft; fünf Gedichte von mir sind dabei.
Am 12. September findet in Schloss Eulenbroich bei Rösrath das große Finale statt. Dann werden sich die acht Nominierten dem Votum des Publikums stellen, das in geheimer Wahl die Besten bestimmt. Das wird ein spannendes Event in der "guten Stube von Rösrath" werden.
Mehr unter:
7. August 2021
Jury-Arbeit
für den Goldstaub Lyrik-Wettbewerb der Autorinnenvereinigung. Viele Einsendungen, wir alle haben gut zu tun. Vier Jurorinnen sichten für die Vorauswahl.
Ab dem 20. August werden zehn Texte ohne Namensnennung auf
online gestellt, so dass bis zum 26. August über sie abgestimmt werden kann. Einen Tag später, am 27. August werden die Ergebnisse auf der Webseite der Autorinnenvereinigung veröffentlicht.
Denken an Knaben
Die Beine gespreizt unterm Samt dem Brokat
im Chorgestühl schwitzt der Klerus verdaut
den Leib des Herrn
denkt an Knaben.
Pralle Hoden
treffen auf weiche Hände Altersflecken
die heimlich mit weichen Zipfeln
schäkern Vorfreude auf glatte
Delphinhaut aufs Knabenfleisch
auf leise Unterwasserschreie im
Weihrauchduft der Sakristei
hinterm Altar.
Herrgott das Schweigen das Schweigen
sagt man ist die Siegerin der Lüge
die Reproduktion der Samen so
dauerhaft wie die klebrige Macht
des Geldes doch gibt es Eventkirchen
heute da tanzen Jungs an der
Stange. Da kaufst du Lonsdale und Esprit.
Da hängt der Herr dazwischen
am Kreuz.
3. August 2021
aus: Am Ende der Sichtachse, edition offenes feld 2021
Herzrot
Du hast für mich das Moos
in Funkeln verwandelt
die Borken der Bäume in Gold.
Mein Innerstes in eine
Felsengrotte voll warmer
Wasser und hellem Sand.
Alles weiß ich von Liebe
und Hass wenn ich
an deiner Hand durch Wälder
tanze zwischen den Speerspitzen
der Sonne rollt dein Lächeln
wie Quecksilber über
mein Herzrot hin was Liebe
ist: der Name im Stamm
der Buche wächst weiter.
28. Juli 2021
Ausflug nach Barmstedt
malerische Kleinstadt im "Land zwischen den Meeren" und etwa 30 Kilometer von Hamburg entfernt. Es gibt hier die Heiligen-Geist-Kirche mit ihrem traumschönen
barocken Saalbau, die "Eiche von Barmstedt", deren Alter auf über 800 Jahre geschätzt wird. Und die Schlossinsel im Rantzauer See mit einem verwunschenen klassizistischen Gebäudeensemble, das
ganz im Zeichen der Kunst steht. im Schlossgefängnis gibt es Kaffee und Kuchen, außerdem wird es hier und heute gerne und oft für Ausstellungen genutzt.
Und als Krönung
ein Aufkleber mitten in Barmstedt von der "Putin Jugend" Altona ...
Jep! Da haben Ole &
Martin bestimmt lekker einen drauf gehoben. Nastrovje!
27. Juli 2021
Schulauer Fährhaus
in Wedel - so viele Erinnerungen an zwanzig Jahre Hamburg. So viel Liebe und Literatur, Wasser und Lieder, Trauer und Trennen, Feiern und Tanzen und Kraft und Mut und pralles Leben in all den Jahren. Nicht oft, aber ab und zu muss ein Besuch einfach sein ...
24. Juli 2021
Ausflug nach Duisburg-Ruhrort
Ruhrort ist ein Jahrhunderte alter teils hipper, teils gediegener, teils etwas abgerockter - wie das Leben halt so spielt - Stadtteil der Ruhrmetropole Duisburg mit dem größten Binnenhafen der Welt. Es gibt die "Schimanski-Gasse" und den "Anker", wo nach dem Tatort-Dreh Schimmi & Co. ihre Currywurst aßen und ihr Pils tranken. Klaro! Logisch ist Ruhrort eine Pilgerstätte für Fans ...
23. Juli 2021
"In der Schweigeminute hecheln die Hunde"
Nachdem gerade mein zweiter Lyrikband veröffentlich wurde, vergegenwärtige ich mir noch einmal, wie alles anfing. "In der Schweigeminute hecheln die Hunde" - dieser Satz, mit dem ich eines Morgens im Jahr 2019 glasklar aus einem Traum aufgewacht bin, war meine Erweckung als spätberufene, damals immerhin schon 65jährige Lyrikerin. (Young at heart, Leute, klar!) Nach einer dramatischen Lungenembolie Ende 2017 war ich als Schriftstellerin für's erste verstummt, immerhin nicht als Gesamterscheinung, was ja schon mal ganz wunderbar war.
2018 ein paar journalistische Arbeiten - mehr war da nicht.
Dann 2019 dieser Traum.
Dieser Satz!
Ein paar Jahre vorher hatte ich in den USA, in Savannah in Georgia, zufällig ein Treffen von Vietnam-Veteranen miterlebt, was mich offenbar so nachhaltig erschüttert hat, dass mich ein kleiner Bildausschnitt aus diesem Treffen - ein blinder Kriegsveteran mit nach innen lauschendem Blick und Hund - aus meinem Traum geradewegs in eine neue mir unbekannte Realität katapultierte.
Bleistift, Block und Blick von der Küche in alte Bäume - so fing das an. An diesem denkwürdigen Erweckungstag habe ich mich ohne jedes Zögern in die Küche geschleppt und ohne auch nur einen Schluck Kaffee erst einmal losgelegt. Das war schon verdammt besonders. In der Schweigeminute ... Irre war das. Das erste Gedicht hieß schlicht "Vietnam"; ihm sind etliche gefolgt. Mittlerweile kann ich in der Autowerkstatt schreiben, wenn ich auf das Ergebnis der Inspektion warte, was der Sensation und Faszination nichts nimmt.
Ich habe sehr viel in meinem Leben geschrieben. Interviews, Reportagen. Rezensionen, Romane. Essays, Erzählungen. Doch nie hat mich etwas so gefangen genommen, derartig glücklich und, ja, ich sag es so: selig gemacht wie Lyrik, die tiefe innere Schichten erreicht und Menschen auf eine Art berühren kann, wie es sonst nicht möglich ist - jedenfalls nicht über Sprache.
"Vietnam" in Ursula Maria Wartmann: Gegen acht im Park, edition offenes feld 2020
10. Juli 2021
"Des Sommers ganze Fülle" ...
die Gärten explodieren förmlich, es ist eine Lust und ein Genuß ... Wieder aus dem Regal geholt: das großartige Buch von Laurie Lee, das 1964 erstmal bei Kindler,
München auf Deutsch erschien. Es beschreibt einen Kindheitssommer in einem abgeschiedenen Dorf im England der 1920er Jahre und ist dermaßen dicht und sinnlich geschrieben, dass man das Gefühl
hat, dabei gewesen zu sein. Sehr zu empfehlen.
8. Juli 2021
Damals war Krieg
Unsere Koffer sind ramponiert
randvoll mit dem Schweigen der Mütter
in den staubigen Winkeln der Kirche
zucken im Flammenspiel gemartert
die Helden und Heilige haben den Einschlag
der Bomben gehört dem federnden
Schritt der Katzen gelauscht die sich
durch Hunger wühlten wie wir
uns durch unsere Träume;
in jeder Sekunde beginnt die Lüge
neu nach der Reue im Kirchenschiff
treiben wir durch unsere Hitze und
durch die taunassen Streuobstwiesen der Angst.
In der Küche hebt der Onkel ein Fuchsgesicht
aus den Händen taucht aus dem dunklen
Groll der Erinnerung auf. Schwarz unter
den Nägeln, die Knöchel weiß wie Kalk.
Mutter macht Kaffee mahlt Bohnen
Der alten Hündin fallen die Schritte schwer.
Du atmest so leise nachts, dann muss ich dich wecken.
Aus:
Am Ende der Sichtachse, edition offenes feld 2021
1. Juli 2021
Tage so sonnenwarm
Wir brechen die Tage wie Brot
am Strand beperlt die Bö unsere Haut
mit Sand wir trinken dampfenden
Wein und wachen am Deich über
die lockigen Rücken der Lämmer dann
entzünden wir ihn: den schwarzen Docht
der Nacht wir hissen die Segel aus duftendem Tuch
und Morgentau wir lassen das hungrige Herztier
hinter dem Rippenbogen grasen am
Morgen bringt uns das Meer
schäumend die Sandburg zurück so
sonnenwarm sind wir wir
brechen die Tage wie Brot.
Aus: Am Ende der Sichtachse, edition offenes feld 2021
Und nun?
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